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Freitag, 1. Februar 2013
Herr Lehmann III
dermensch, 23:19h
„Essen!“
Die monotone, gelernte Frauenstimme an Lehmanns Ohr.
Doch er bewegt sich nicht.
Er steht am Fenster seines kleinen, sterilen Zimmers.
Den Blick auf den Klinikumspark.
An diesem Nachmittag.
An diesem sonnigen Nachmittag.
Die Tür geht wieder zu.
Doch der Geruch von Desinfektionsmittel bleibt.
Lehmann alleine mit dem Desinfektionsmittel.
Das rein- weiße Bett.
Rein Weiß verhöhnt ihn.
Der grüne Linoleumboden.
Die Tür geht wieder auf.
Die Schwester mit der Spritze.
„Naaaa, heute keinen Hunger, Herr.. äh..“
„Lehmann.“
Er lässt sich auf den unbequemen Plastikstuhl sinken.
„Und: Nein.“
„Mhm“ Macht die Schwester nur.
Ein gelernt tadelnder Ton.
Ja. Ja.
Beiläufig blättert er in einer Zeitschrift, die auf dem Tisch liegt.
Neben der Putenbrust.
Bunte, illustrierte Bilder, farbenfroh neben dem Leichenteil.
Lehmann vergisst darüber beinahe, dass er nicht alleine ist.
„So, und jetzt bitte das Ärmchen frei machen…“ Säuselt die Angestellte.
Auch ganz in Weiß.
„Das Ärmchen…“ murmelt Lehmann, als er sich das Hemd hochkrempelt.
Die Schwester ignoriert ihn.
Routine und Ordnung bestimmen ihre präzise Handlungsabfolge.
„Wann kann ich wieder mit dem Doktor sprechen?“ fragt Lehmann.
Die Frau verzieht das Gesicht und lässt seinen Arm los.
„So halten, bitte.“ Sagt sie nur.
Räumt die Nadel weg.
Gar nicht mehr steril, gar nicht mehr rein und weiß.
Lehmann räuspert sich um auf sich aufmerksam zu machen.
„Achso ja. … Herr…?“
„Lehmann. So heiße ich.“ Betont langsam sagt er seinen Namen. Er lässt den Arm locker um auf die Akte zu deuten, die die Krankenschwester auf den Tisch gelegt hatte.
„Nicht!“ Geifert sie und bringt seinen Arm wieder in die angestammte Position zurück.
Lehmann blickt sehnsüchtig zum Fenster.
„Wann werde ich entlassen?“ fragt er, anstatt seine erste Frage zu wiederholen.
Ein bestimmter Ausdruck huscht über das Gesicht der Schwester.
Sie betrachtet die Krankenakte auf dem Klemmbrett.
„Tja ähm…“ Ein falsches, nervöses Lächeln.
Das erste Mal, dass sie Lehmann ins Gesicht sieht.
Er legt den Kopf schief.
„Da muss ich nochmal den Doktor fragen…“ Sie drückt das Klemmbrett vor ihre Brust und stimmt wieder ihren süßen säuselnden Ton an.
„Aber Ihnen gefällt es doch sicher bei uns.“
Lehmann schaut sie nicht an.
Er beobachtet, wie das Sonnenlicht auf das sterile, perfekte Bett fällt.
Auf den Linoleumboden.
Auf die gebrauchte Spritze.
„Sie unterstellen mir ja Allerhand.“ Entgegnet er nur.
Sie schüttelt den Kopf und stößt ein rhythmisches Lachen aus
„Ach, sie Schelm!“
„Ich gehe jetzt.“
Lehmann steht auf, nimmt seine Tasche.
„Aber nicht doch!“
In einem Tonfall, wie man mit einem Kind reden würde.
Die Schwester versucht Lehmann die Tasche aus der Hand zu nehmen.
„Oh, aber sehr wohl.“ Verhöhnt Lehmann sie im gleichen Ton.
„Aber sie brauchen doch noch die Entlassungspapiere und…“
„Wollen sie mich wie einen Strafgefangenen behandeln?“
Lehmann wirft sich seine Jacke über die Schulter.
Nimmt die gebrauchte Nadel zur Hand.
Und geht.
Über den Flur.
Über den blanken Boden.
Hinter ihm bricht Chaos aus.
Die Krankenschwester in einer wüsten Schimpftirade, ganz wirr.
Versucht das Vorgefallene zu erklären.
Bevor sich die Aufzugtüren hinter Lehmann schließen, hört er noch oft die Satzfolge:
„Er geht, er geht einfach!“
Dann:
Einen Moment der Stille.
Lehmann sieht sich selbst in der verspiegelten Kabine.
Im flackernden Licht des Aufzugs.
Ein fahles, eingefallenes Gesicht blickt ihn an.
Lehmann ballt die Hand zu einer Faust und schlägt zu.
Die hässliche Fratze zersplittert.
Landet auf dem abgenutzten Boden.
Überall.
Überall kleine glänzende Splitter.
Lehmann fühlt sich so müde.
Die Türen gehen auf.
Tumult.
Lehmann findet sich am Boden wieder.
Zwei Wachmänner haben sich auf ihn gestürzt.
_Schon wieder am Boden._ Denkt er.
Lehmann würde den Kopf schütteln, aber dieser wird fest an den nach Putzmitteln stinkenden Grund gedrückt.
Eigentlich wollte er die benutzte Spritze mitnehmen.
Er wollte sie in den grauen Asphalt der Straße treiben.
Eigentlich wollte er nur fort.
Er und die makelhafte Spritze in seiner Hand.
(c)
Die monotone, gelernte Frauenstimme an Lehmanns Ohr.
Doch er bewegt sich nicht.
Er steht am Fenster seines kleinen, sterilen Zimmers.
Den Blick auf den Klinikumspark.
An diesem Nachmittag.
An diesem sonnigen Nachmittag.
Die Tür geht wieder zu.
Doch der Geruch von Desinfektionsmittel bleibt.
Lehmann alleine mit dem Desinfektionsmittel.
Das rein- weiße Bett.
Rein Weiß verhöhnt ihn.
Der grüne Linoleumboden.
Die Tür geht wieder auf.
Die Schwester mit der Spritze.
„Naaaa, heute keinen Hunger, Herr.. äh..“
„Lehmann.“
Er lässt sich auf den unbequemen Plastikstuhl sinken.
„Und: Nein.“
„Mhm“ Macht die Schwester nur.
Ein gelernt tadelnder Ton.
Ja. Ja.
Beiläufig blättert er in einer Zeitschrift, die auf dem Tisch liegt.
Neben der Putenbrust.
Bunte, illustrierte Bilder, farbenfroh neben dem Leichenteil.
Lehmann vergisst darüber beinahe, dass er nicht alleine ist.
„So, und jetzt bitte das Ärmchen frei machen…“ Säuselt die Angestellte.
Auch ganz in Weiß.
„Das Ärmchen…“ murmelt Lehmann, als er sich das Hemd hochkrempelt.
Die Schwester ignoriert ihn.
Routine und Ordnung bestimmen ihre präzise Handlungsabfolge.
„Wann kann ich wieder mit dem Doktor sprechen?“ fragt Lehmann.
Die Frau verzieht das Gesicht und lässt seinen Arm los.
„So halten, bitte.“ Sagt sie nur.
Räumt die Nadel weg.
Gar nicht mehr steril, gar nicht mehr rein und weiß.
Lehmann räuspert sich um auf sich aufmerksam zu machen.
„Achso ja. … Herr…?“
„Lehmann. So heiße ich.“ Betont langsam sagt er seinen Namen. Er lässt den Arm locker um auf die Akte zu deuten, die die Krankenschwester auf den Tisch gelegt hatte.
„Nicht!“ Geifert sie und bringt seinen Arm wieder in die angestammte Position zurück.
Lehmann blickt sehnsüchtig zum Fenster.
„Wann werde ich entlassen?“ fragt er, anstatt seine erste Frage zu wiederholen.
Ein bestimmter Ausdruck huscht über das Gesicht der Schwester.
Sie betrachtet die Krankenakte auf dem Klemmbrett.
„Tja ähm…“ Ein falsches, nervöses Lächeln.
Das erste Mal, dass sie Lehmann ins Gesicht sieht.
Er legt den Kopf schief.
„Da muss ich nochmal den Doktor fragen…“ Sie drückt das Klemmbrett vor ihre Brust und stimmt wieder ihren süßen säuselnden Ton an.
„Aber Ihnen gefällt es doch sicher bei uns.“
Lehmann schaut sie nicht an.
Er beobachtet, wie das Sonnenlicht auf das sterile, perfekte Bett fällt.
Auf den Linoleumboden.
Auf die gebrauchte Spritze.
„Sie unterstellen mir ja Allerhand.“ Entgegnet er nur.
Sie schüttelt den Kopf und stößt ein rhythmisches Lachen aus
„Ach, sie Schelm!“
„Ich gehe jetzt.“
Lehmann steht auf, nimmt seine Tasche.
„Aber nicht doch!“
In einem Tonfall, wie man mit einem Kind reden würde.
Die Schwester versucht Lehmann die Tasche aus der Hand zu nehmen.
„Oh, aber sehr wohl.“ Verhöhnt Lehmann sie im gleichen Ton.
„Aber sie brauchen doch noch die Entlassungspapiere und…“
„Wollen sie mich wie einen Strafgefangenen behandeln?“
Lehmann wirft sich seine Jacke über die Schulter.
Nimmt die gebrauchte Nadel zur Hand.
Und geht.
Über den Flur.
Über den blanken Boden.
Hinter ihm bricht Chaos aus.
Die Krankenschwester in einer wüsten Schimpftirade, ganz wirr.
Versucht das Vorgefallene zu erklären.
Bevor sich die Aufzugtüren hinter Lehmann schließen, hört er noch oft die Satzfolge:
„Er geht, er geht einfach!“
Dann:
Einen Moment der Stille.
Lehmann sieht sich selbst in der verspiegelten Kabine.
Im flackernden Licht des Aufzugs.
Ein fahles, eingefallenes Gesicht blickt ihn an.
Lehmann ballt die Hand zu einer Faust und schlägt zu.
Die hässliche Fratze zersplittert.
Landet auf dem abgenutzten Boden.
Überall.
Überall kleine glänzende Splitter.
Lehmann fühlt sich so müde.
Die Türen gehen auf.
Tumult.
Lehmann findet sich am Boden wieder.
Zwei Wachmänner haben sich auf ihn gestürzt.
_Schon wieder am Boden._ Denkt er.
Lehmann würde den Kopf schütteln, aber dieser wird fest an den nach Putzmitteln stinkenden Grund gedrückt.
Eigentlich wollte er die benutzte Spritze mitnehmen.
Er wollte sie in den grauen Asphalt der Straße treiben.
Eigentlich wollte er nur fort.
Er und die makelhafte Spritze in seiner Hand.
(c)
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