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Samstag, 23. Februar 2013
Interview mit einem Misanthropen
dermensch, 18:10h
„Ich verstehe.“ Sage ich und wende mich vom Fenster ab. „Dann lass uns anfangen.“
Mein Gegenüber rückt unsicher seinen Stuhl zurecht und räuspert sich.
„Also… Wie hat alles begonnen?“
Fragt der Junge.
„Alles begann mit dem Big Bang. Wenn man der empirischen Wissenschaft Glauben schenken will.“
Der Junge verzieht sein Gesicht zu einem verwirrten Lächeln.
„Nein.. Ich meine, wie es bei Ihnen begonnen hat.“
„Ich wurde geboren, was für eine törichte Frage.“ Ich stoße ein abgehacktes Lachen aus.
Er stimmt mit ein, schüttelt aber den Kopf.
„… Ich meinte, wie hat sich ihr Leben gewandelt- ich meine, zu dem, was Sie jetzt sind.“
Ich atme die Luft des staubigen Zimmers ein.
„Ich bin auf meinen Reisen bereits vielen Menschen begegnet.“ Beginne ich tonlos zu erzählen. „Starken, schwachen, glücklichen, traurigen, erfüllten, schwermutigen, leidenschaftlichen Menschen. Rebellen und Mitläufern, Anführern und Herdentieren. So wie wir leben, dem Schmach der Dummheit und der Menschlichkeit ausgesetzt. Stumm ertragen.“
Ich blicke in das blasse Gesicht meines Gegenübers.
Er scheint nicht zu verstehen.
„Worauf wollen Sie hinaus?“
„Wie hat es angefangen. Das war doch deine Frage.“ Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare. „Gleich. Im Kern sind alle Menschen gleich. Sie suchen ein wenig Glück… Ach! Das ist wenig verwerflich! Aber ihr blindes Verlangen und ihre Ignoranz machen sie zu jenem bösartigen Tier, das ich verachte. Es ist erbärmlich.“
„Aber wie kommen sie dazu so etwas zu sagen?“ Der Junge starrte ihn mit geweiteten Augen an und stieß die Luft aus.
„Mein Leben war nie normal, wie ihr es gerne hättet.
Ich möchte dir lieber etwas über dich erzählen. Denn ich kenne dich. Ich kenne jeden Menschen in seinem Kern.“
Der Junge setzt sich gerade hin, sein Gesicht spiegelt die Monotonie der Welt wieder.
„Was soll das?“
„Ja, was?“ Ich lache. „Wenn es in diesem Interview um die Eigenart meiner Person gehen soll, so müssen wir zunächst deine Person zum Thema machen.“
„Das ist doch absurd!“ Der Junge rutscht unbehaglich auf seinem Stuhl herum.
„Ja. Absurd wie das Leben.“ Ich fahre mir durch die Haare.
Was hatte ich schon erwartet?
„Es gibt eine kleine Anekdote darüber, wie Freud einst zu einem Interview gebeten wurde. Durch eine Unachtsamkeit zerbrach dem Techniker die Schallplatte, auf der das Gespräch aufgezeichnet war und Freud fragte ihn nur, weshalb er seinen Beruf hasse. ‚Was?‘ entgegnete der andere und war perplex darüber. Doch als Freud seine Beobachtungen erläuterte, gab der Techniker zu, dass er seiner Arbeit tatsächlich nicht gerne nachgehe. Und ich bin – wenn man es so möchte – die zerbrochene Schallplatte.“
„Das verstehe ich nicht.“
Ich beuge mich über den Tisch, näher an den Jungen.
„Du möchtest doch etwas über mich erfahren. Warum ich zerbrach. Nicht wahr? Aber es verhält sich mit mir genau wie mit der Schallplatte.
Also frage ich dich, warum hast du mich zerbrochen?“
„Ich?“ Der Junge keuchte.
„Na siehst du, da haben wir es doch.“
„Was?“ Verwirrt blickte er sich um, als würde hinter ihm noch jemand stehen, den ich hätte meinen können.
Ich lache.
„Du bist dir dessen nicht einmal bewusst.“
„Wovon bitte sprechen Sie?“
„Von dir.“ Ich lache erneut. Laut. „Dem Menschen. Willst du dich denn nicht damit identifizieren? Willst du keiner von ihnen sein? Du willst es doch, nicht?“
Meine Hand streift seine Jacke, die über dem Stuhl liegt. „… Das willst du doch.“
„Wovon sprechen Sie?“
Misstrauen und Verwirrung breiten sich auf dem jugendlichen Gesicht aus.
„Hören wir auf mit diesem Spiel…“ Ich deute auf meinem Kopf. „Der ist der Grund allen Übels. Der Verstand.“
„Wieso?“
„Hast du dich einmal gefragt, wo die Kabel von dieser Lampe hinführen?“
Ich deute auf das herabgehangene, matte Deckenlicht.
„Ich nehme an, in die Wand.“
„In die Wand?“ Ich lache. „Ja, selbstverständlich. Meine Augen sind auch in meinem Kopf zu verorten. Aber dann? Wohin führen die Kabel? Wohin laufen meine Sinneseindrücke?“
„Wahrscheinlich zu irgendeinem … Kraftwerk?“ Der Junge schaut mich fragend und unsicher an.
„Natürlich. Du weißt es nicht.“ Ich nicke „Aber so verhält es sich: Alles, alles ist vernetzt, führt irgendwo hin und es wäre gar nicht möglich dem nachzugehen. Und jedermann verlässt sich darauf. Jedermann lebt, nein, existiert auf einem Fundament geronnener Vernunft. Kannst du mir folgen?“
Mein Gegenüber wiegt den Kopf zur Seite.
„Darüber habe ich noch nie nachgedacht.“
„Richtig, das hast du nicht. Und darauf will ich hinaus: Es ist vernünftig nicht darüber nachzudenken, es funktioniert doch, oder?“
Der Junge nickt knapp und verschüchtert, die großen Augen auf mich gerichtet.
Ungewollt stoße ich ein bitteres Schnauben aus.
„Und was, wenn die Kabel ganz woanders hinführen? Zu einem Werk aus Zahnrädern, dass sich von lebendigen Leibern nährt oder was, wenn die Kabel selbst aus dem Haar der Toten geflochten wären?“
Der Junge starrt erschrocken in mein Gesicht.
Das Gesicht eines Misanthropen.
„Aber das wäre doch auch nicht so wild, oder? Schließlich seid ihr Menschen so viele. Und die Last und die Schuld teile sich unter allen auf, so dass jeder nur noch ein kleines bisschen trüge und nur im tiefen Schlaf der Stadt, im tiefen, ehrlichen Traum es sich, verschleiert in wirren Empfindungen offenbart.“ Meine Zunge schnellt zwischen den Lippen hervor. „Und nehmen wir an, es wäre so. So würdet ihr beginnen euch selbst gegenseitig zu knechten, das bisschen Rechtschaffenheit dem anderen abzusprechen. Neid, Hass und Zwietracht zu schüren. In dem Glauben, das könne den Geruch der Leichen blumiger machen.“ Ich lache. „Und eure Gier- eure Gier nach Allem, seit ihr so aus dem Paradiese vertrieben wurdet, frisst euch auf. Euch und eure Kinder.“
Meine Stimme bekommt einen schneidenden Tonfall und ich spüre, wie mein Hass ins Unermessliche steigt. „Und diese GIER und diese IGNORANZ dem Verlauf des Kabels gegenüber, fordert sie. Fordert neue Opfer, neue Leichentücher, und Särge in die ihr euer Gewissen bettet.“
„Das ist doch krank!“ Der Junge steht abrupt von seinem Stuhl auf und schüttelt angewidert den Kopf.
„Ja.“ Flüstere ich. „Die Wahrheit ist krank. Meine Wahrheit ist krank.“
Kurzes Schweigen. „Deine ist ganz ebenmäßig und flach wie die Oberfläche eines Sees, doch es verbirgt sich nur die Tiefe einer Pfütze darunter!“
Der Junge greift zu seiner Jacke, zieht sie an seine Brust und bleibt gebannt stehen.
„Was wirst du nun machen?“ Frage ich.
„Gehen.“
„Dabei habe ich dir nicht einmal einen Bruchteil über dich erzählen können …“ Ich stoße ein widerliches Lachen aus „Dabei haben wir uns doch bisher erst über dieses _eine_ Kabel unterhalten.“
(c)
Mein Gegenüber rückt unsicher seinen Stuhl zurecht und räuspert sich.
„Also… Wie hat alles begonnen?“
Fragt der Junge.
„Alles begann mit dem Big Bang. Wenn man der empirischen Wissenschaft Glauben schenken will.“
Der Junge verzieht sein Gesicht zu einem verwirrten Lächeln.
„Nein.. Ich meine, wie es bei Ihnen begonnen hat.“
„Ich wurde geboren, was für eine törichte Frage.“ Ich stoße ein abgehacktes Lachen aus.
Er stimmt mit ein, schüttelt aber den Kopf.
„… Ich meinte, wie hat sich ihr Leben gewandelt- ich meine, zu dem, was Sie jetzt sind.“
Ich atme die Luft des staubigen Zimmers ein.
„Ich bin auf meinen Reisen bereits vielen Menschen begegnet.“ Beginne ich tonlos zu erzählen. „Starken, schwachen, glücklichen, traurigen, erfüllten, schwermutigen, leidenschaftlichen Menschen. Rebellen und Mitläufern, Anführern und Herdentieren. So wie wir leben, dem Schmach der Dummheit und der Menschlichkeit ausgesetzt. Stumm ertragen.“
Ich blicke in das blasse Gesicht meines Gegenübers.
Er scheint nicht zu verstehen.
„Worauf wollen Sie hinaus?“
„Wie hat es angefangen. Das war doch deine Frage.“ Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare. „Gleich. Im Kern sind alle Menschen gleich. Sie suchen ein wenig Glück… Ach! Das ist wenig verwerflich! Aber ihr blindes Verlangen und ihre Ignoranz machen sie zu jenem bösartigen Tier, das ich verachte. Es ist erbärmlich.“
„Aber wie kommen sie dazu so etwas zu sagen?“ Der Junge starrte ihn mit geweiteten Augen an und stieß die Luft aus.
„Mein Leben war nie normal, wie ihr es gerne hättet.
Ich möchte dir lieber etwas über dich erzählen. Denn ich kenne dich. Ich kenne jeden Menschen in seinem Kern.“
Der Junge setzt sich gerade hin, sein Gesicht spiegelt die Monotonie der Welt wieder.
„Was soll das?“
„Ja, was?“ Ich lache. „Wenn es in diesem Interview um die Eigenart meiner Person gehen soll, so müssen wir zunächst deine Person zum Thema machen.“
„Das ist doch absurd!“ Der Junge rutscht unbehaglich auf seinem Stuhl herum.
„Ja. Absurd wie das Leben.“ Ich fahre mir durch die Haare.
Was hatte ich schon erwartet?
„Es gibt eine kleine Anekdote darüber, wie Freud einst zu einem Interview gebeten wurde. Durch eine Unachtsamkeit zerbrach dem Techniker die Schallplatte, auf der das Gespräch aufgezeichnet war und Freud fragte ihn nur, weshalb er seinen Beruf hasse. ‚Was?‘ entgegnete der andere und war perplex darüber. Doch als Freud seine Beobachtungen erläuterte, gab der Techniker zu, dass er seiner Arbeit tatsächlich nicht gerne nachgehe. Und ich bin – wenn man es so möchte – die zerbrochene Schallplatte.“
„Das verstehe ich nicht.“
Ich beuge mich über den Tisch, näher an den Jungen.
„Du möchtest doch etwas über mich erfahren. Warum ich zerbrach. Nicht wahr? Aber es verhält sich mit mir genau wie mit der Schallplatte.
Also frage ich dich, warum hast du mich zerbrochen?“
„Ich?“ Der Junge keuchte.
„Na siehst du, da haben wir es doch.“
„Was?“ Verwirrt blickte er sich um, als würde hinter ihm noch jemand stehen, den ich hätte meinen können.
Ich lache.
„Du bist dir dessen nicht einmal bewusst.“
„Wovon bitte sprechen Sie?“
„Von dir.“ Ich lache erneut. Laut. „Dem Menschen. Willst du dich denn nicht damit identifizieren? Willst du keiner von ihnen sein? Du willst es doch, nicht?“
Meine Hand streift seine Jacke, die über dem Stuhl liegt. „… Das willst du doch.“
„Wovon sprechen Sie?“
Misstrauen und Verwirrung breiten sich auf dem jugendlichen Gesicht aus.
„Hören wir auf mit diesem Spiel…“ Ich deute auf meinem Kopf. „Der ist der Grund allen Übels. Der Verstand.“
„Wieso?“
„Hast du dich einmal gefragt, wo die Kabel von dieser Lampe hinführen?“
Ich deute auf das herabgehangene, matte Deckenlicht.
„Ich nehme an, in die Wand.“
„In die Wand?“ Ich lache. „Ja, selbstverständlich. Meine Augen sind auch in meinem Kopf zu verorten. Aber dann? Wohin führen die Kabel? Wohin laufen meine Sinneseindrücke?“
„Wahrscheinlich zu irgendeinem … Kraftwerk?“ Der Junge schaut mich fragend und unsicher an.
„Natürlich. Du weißt es nicht.“ Ich nicke „Aber so verhält es sich: Alles, alles ist vernetzt, führt irgendwo hin und es wäre gar nicht möglich dem nachzugehen. Und jedermann verlässt sich darauf. Jedermann lebt, nein, existiert auf einem Fundament geronnener Vernunft. Kannst du mir folgen?“
Mein Gegenüber wiegt den Kopf zur Seite.
„Darüber habe ich noch nie nachgedacht.“
„Richtig, das hast du nicht. Und darauf will ich hinaus: Es ist vernünftig nicht darüber nachzudenken, es funktioniert doch, oder?“
Der Junge nickt knapp und verschüchtert, die großen Augen auf mich gerichtet.
Ungewollt stoße ich ein bitteres Schnauben aus.
„Und was, wenn die Kabel ganz woanders hinführen? Zu einem Werk aus Zahnrädern, dass sich von lebendigen Leibern nährt oder was, wenn die Kabel selbst aus dem Haar der Toten geflochten wären?“
Der Junge starrt erschrocken in mein Gesicht.
Das Gesicht eines Misanthropen.
„Aber das wäre doch auch nicht so wild, oder? Schließlich seid ihr Menschen so viele. Und die Last und die Schuld teile sich unter allen auf, so dass jeder nur noch ein kleines bisschen trüge und nur im tiefen Schlaf der Stadt, im tiefen, ehrlichen Traum es sich, verschleiert in wirren Empfindungen offenbart.“ Meine Zunge schnellt zwischen den Lippen hervor. „Und nehmen wir an, es wäre so. So würdet ihr beginnen euch selbst gegenseitig zu knechten, das bisschen Rechtschaffenheit dem anderen abzusprechen. Neid, Hass und Zwietracht zu schüren. In dem Glauben, das könne den Geruch der Leichen blumiger machen.“ Ich lache. „Und eure Gier- eure Gier nach Allem, seit ihr so aus dem Paradiese vertrieben wurdet, frisst euch auf. Euch und eure Kinder.“
Meine Stimme bekommt einen schneidenden Tonfall und ich spüre, wie mein Hass ins Unermessliche steigt. „Und diese GIER und diese IGNORANZ dem Verlauf des Kabels gegenüber, fordert sie. Fordert neue Opfer, neue Leichentücher, und Särge in die ihr euer Gewissen bettet.“
„Das ist doch krank!“ Der Junge steht abrupt von seinem Stuhl auf und schüttelt angewidert den Kopf.
„Ja.“ Flüstere ich. „Die Wahrheit ist krank. Meine Wahrheit ist krank.“
Kurzes Schweigen. „Deine ist ganz ebenmäßig und flach wie die Oberfläche eines Sees, doch es verbirgt sich nur die Tiefe einer Pfütze darunter!“
Der Junge greift zu seiner Jacke, zieht sie an seine Brust und bleibt gebannt stehen.
„Was wirst du nun machen?“ Frage ich.
„Gehen.“
„Dabei habe ich dir nicht einmal einen Bruchteil über dich erzählen können …“ Ich stoße ein widerliches Lachen aus „Dabei haben wir uns doch bisher erst über dieses _eine_ Kabel unterhalten.“
(c)
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