Sonntag, 29. September 2013
Hamlets Tod: Wahrheit ein Trauerspiel
Horatio sitzt tief in mir und lässt mich nicht los.
Er hat mein innerstes an der Kehle gepackt und sträubt sich seinen Löffel zu verbiegen.
„Horatio!“
Er schweigt und betrachtet das Grab meiner Mutter,
seiner Mutter.
Betrachtet das Grab von Geist und Verstand.
Blütenblätter, Haar und Wurzeln.
„Dein Gemüt ist erhitzt und ich kann dir nicht sagen was du weißt, Hamlet. Ich vermag es nicht. Und das Warum-“
„Bin ich verrückt? Wahnsinnig?“ Schreie ich all die Luft aus meinem Bauch, weil meine Lungen die Last nicht mehr zu tragen vermögen. Denn das Hirn fließt, wie Butter in die Welt des Leiblichen. Des Wohls. „Oh Horatio, wer bin ich denn? Was vermag ich zu tun, was vermag ich zu lassen? Was soll ich hoffen, wollen, denken? In meinem Inneren füllt sich die Last schwerer Dinge an und ich vermag nicht zu entscheiden, noch zu fühlen. Weiß nicht wozu ich fähig bin. Und was ist das Gefühl, die Empfindung? Was ist es Wert, außer dem Dotter der Welt, wenn ich nicht benennen kann- ja, nicht einmal wissen kann was es ist, diese Empfindung. So bin ich verrückt.“
„Hamlet, es ist gut.“ Horatio wiegt Hamlet wie ein Kind in seinen Armen und das Wiegenlied der Welt verstimmt. Wie eine Mutter, wie alle Mütter und Hamlet in seinem Schoß.
„Was ist gut? Was ist schlecht? Horatio! Mein Gewissen befielt mir Dinge, die mein Verstand ausgebrütet hat in der Mittagssonne meiner Umwelt – verdorrt ist es vor Hitze. Elendig und faul stinkt es, bis das blutige Schwert keine Verwendung mehr findet in den Armen des Bettlers. Ich weiß worum es geht. Ich verstehe es. Doch die Substanz fehlt mir! Das Wissen um des armen Menschen Ende macht ihn zu keinem GOTT! Horatio!“
„Du fühlst zu innig. Dein Herz wird schwer.“
„Nein! Mein Fühlen ist die einzige Waffe meines Vertandes entgegenzusetzen und doch- und doch erlange ich keine Konstante. Es sind zwei Instanzen, die in mir gegeneinander streiten und eine mächtiger als die andere hat meinem Wesen den Kopf abgeschlagen, dass ich nur noch zappelnd am Boden liege, wie ein sterbender Fisch!“
Ich beuge mich, bis ich auf den Boden sehen kann, in die Wasserlachen, hinab zu Klingen und der toten Ophelia. „Das ist nun der Fluss der Dinge und doch will sich in mir keine Einigung erzielen. Sind meine Empfindungen also schlecht? Können Empfindungen schlecht sein? Können sie? – Können sie nicht?“
Horatio lässt seine Hände sinken, an die Seiten, an die Saiten dieses Instruments. Die klänge Silbern wie das Meer der Tugend.
„Was du kannst und was du ... NICHT kannst-“
„-das ist hier die Frage.“ Ich träumte dahin, zu dem Fluss meines Seins, wo mich niemand fand und ich mich selbst verloren hatte. Im Krater der Ungeduld mäste ich meine Sinne.
„Und was ist das Können, wenn nicht Zweifel auf Zeit?“
„Und Gedenken und Ängste und Wünsche. All das wird letztlich dein Tun treiben, es leiten. Bis zur letzten Stunde. Und alles das. All das Schicksal und das Laufen wird zum Korsett deines Lebens. Und darunter trägst du nur deine Haut. Und nicht einmal die Dickleibigkeit eines Maßlosen kann dich dann noch davor schützen, dass das Korsett sich zuschnürt – oh nein, es schnürt noch fester. Auf dass das Gift sich tief in dein Fleisch frisst und du erkennst: Du stirbst. Du stirbst in Angesicht deiner Taten- Was auch immer du gefühlst, gedacht, gewünscht. In diesem Moment vor deiner Selbst wird es dir zur Gleichgültigkeit. Du stirbst! In Jeder Sekunde hebst du dein Grab aus, was du auch tust! DU IRRST! Es gibt nicht den richtigen Weg! Du stirbst! In jedem Moment deines Seins Flechtest du dir selbst den Strick, kriechst zurück in den Schoß deiner Mutter zu den Maden, Hamlet! Du stirbst!“
(c)

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