Mittwoch, 16. Januar 2013
Die Uhr und das Druckerpapier
Ich laufe durch einen schmalen Gang. Bilder verfolgen mich.
Überall sind Türen und Uhren. Die meisten Uhren kann ich nicht ablesen. Sie sind unscharf, haben falsche Zeichen oder laufen mal vor, mal zurück. Die Türen sind verschlossen. Ich laufe und komme an kein Ziel. Wo bin ich? Und wann? Eine der tickenden Uhren gibt ein ohrenbetäubendes Geräusch von sich, ein helles Schrillen. Ich schlage gegen sie, kann dem Ton kein Einhalt gewähren.
Ich öffne die Augen. Der Ton kommt von dem abgegriffenen Telefon vor mir. Mein Kopf ist noch auf einem Stapel unbearbeiteter Papiere gebettet. Hinter dem Lärm des Telefons dringt die Geräuschskulisse des Büroalltags zu mir. Ein Traum.
Ich hebe ab. „Samsa am Apparat.“ Melde ich mich. Eine Stimme am anderen Ende der Leitung schnaubt amüsiert. Ich erkenne sie.
„M“
„Es ist wirklich absurd deinen bürgerlichen Namen zu hören.“
„Ich habe gesagt Du sollst hier nicht anrufen“ zische ich in den Hörer.
M lacht. „Genau deshalb konnte ich mich nicht zurückhalten. Wir sehen uns gleich.“
„Verstehe“ Ich lasse einen Kulli in meiner Hand kreisen „Bis dann.“
Ich lege auf ohne eine Antwort zu erwarten. In dem Moment betritt eine Kollegin mein Büro. Sie ist in einem ausdruckslosen Grau gekleidet und riecht nach Druckerpapier. Sie macht ein pikiertes Gesicht und lässt einen Stapel Arbeit auf meinen Schreibtisch niederbrausen. „Keine Privatgespräche hier.“ Schnaubt sie und schaut mich herausfordernd an. Ich schnappe mir meine Jacke und verlasse das Büro ohne ein Wort zu sagen.
Die Straße ist regennass. Dicke Wolken behängen den düster spät nachmittäglichen Himmel. Auf dem Asphalt spiegeln sich die Ampeln und die grellen Werbetafeln. Ich halte es nicht für nötig meine Jacke anzuziehen.
Ich höre ein lautes Motorengeräusch und ein Motorrad mit einem dunkel gekleideten Fahrer wird neben mir langsamer, bis er in Schritttempo neben mir herfährt.
„Diese Stadt macht mich krank.“ Sage ich und schleudere meine Jacke in ein Gebüsch. Der Fahrer lacht rauchig. „Bringen wir es hinter uns“ Ich steige auf das Motorrad und wir brausen davon. Erst etwa zwanzig Minuten später wird der Fahrer langsamer und hält schließlich vor einem großen verglasten Gebäude. Wir steigen ab und betreten den Komplex. „Im Keller.“ Gibt mein Begleiter knapp von sich. Das Gebäude ist ganz still. Es riecht nach Reinigungsmitteln, Luftbefeuchtern, Druckern, künstlichen Parfums, Schweiß und der kalten Bürokratie. Nur ein Wasserspender gibt ein glucksendes Geräusch von sich. Kein Gegenstand ist hier zu viel.
Ich folge in den Keller und wir tragen mehrere schwere Kisten hinauf. „Ich habe geträumt.“ Sage ich und halte Inne, während ich auf den wie zu Eis erstarrten Innenhof schaue. „Was hältst Du von Uhren?“
„Uhren? Sie strukturieren und organisieren dieses-“ Die Stimme meines Begleiters bricht „- System der rationalen Unmenschlichkeit.“
Schweigend bauen wir ein Gewirr aus Kabeln auf. Dann verlassen wir das Gebäude und fahren mit dem Motorrad über die nassen dunklen Straßen. Auf einer Wiese, nicht weit entfernt kommen wir zum Stehen und noch bevor wir absteigen drücke ich einen kleinen Knopf in meiner Hemdtasche. Das Geräusch von splitterndem Glas und eine enorme Druckwelle lässt mich meinen Körper wieder spüren. Ich atme den Geruch von verbranntem und sehe wie sich Feuer in den Resten des Gebäudes ausbreitet, das wir eben noch verlassen hatten. Ich steige ab und schaue in den sonst so ruhigen Nachthimmel. Ohne ein weiteres Wort zu sagen lässt der Fahrer wieder seinen Motor an und ich lasse meine Schritte in die Richtung laufen, aus der die Lichter der Stadt kommen.
(c)

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Dienstag, 15. Januar 2013
Herr Lehmann
Ein markerschütterndes Schellen reißt Lehmann aus seinen Traum.
Sein Herz pocht laut und unkontrolliert. Wer steht da vor der Tür?
„Herr Lehmann?“
Eine barsche Stimme, die durch jede Ritze seiner Behausung fährt.
„Herr Lehmann!“
Noch einmal.
„Ja. Ja.“
Lehmann kämpft sich mühevoll aus seinem Bett. Öffnet schwerfällig die Tür einen Spalt breit.
Frau Mazschek, die Alte schon wieder. Lehmann kämpft mit dem Drang die Tür wieder zuzuschlagen.
Entschlossen drängelt sie gegen die Tür und hält ihm ein Päckchen unter die Nase.
„Wurde heute Morgen für sie abegegeben. Habe mir schon gedacht, dass sie noch geschlafen haben. Aber jetzt um diese Uhrzeit?...“ Ihr Blick fällt an Lehmann herunter. Er trägt nur eine ausgeleierte Sporthose und ein Unterhemd.
Ein Unterhemd mit Flecken.
Ein Schulterzucken und er nimmt das Päckchen entgegen.
Neugierig steckt Frau Mazschek den Kopf in seine Wohnung. „Was riecht denn hier so?“
Lehmann drückt gegen die Tür, bis sie schließlich im letzten Moment den Kopf einzieht.
„… Eine Frechheit!“ hört er sie draußen keifen, nachdem die Haustür laut ins Schloss gefallen ist.
Egal.
Viel mehr interessiert Lehmann das schwere Päckchen, das nun zu seinen Füßen liegt.
Wenige Augenblicke später hat Lehmann eine Schere geholt und die störende Pappe beiseite geklappt.
Ganz oben auf ein Brief mit Tinte geschrieben:
_„Eine Warnung an den Empfänger: Das Leben ist zu kurz, um die Vergangenheit auf sich wirken zu lassen.“_
Lehmann lässt die kryptische Botschaft auf den Boden sinken und betrachtet den nun frei liegenden Inhalt des Päckchens.
Mehrere , zusammenhangslose Gegenstände. Lehmann ist verwirrt. Zunächst.
Dann nimmt er einen Stein zur Hand. Einen großen Pflasterstein.
Ein Schneeball trifft Lehmann am Kopf. Kinderlachen.
Lehmann auf dem Heimweg von der Schule.
Schneebehangene Bäume im Winter `79.
Die Mutter hat Linseneintopf gekocht. Linseneintopf mit Würstchen.
Ihr Lächeln in Nahaufnahme.
Lehmann vor einem dreckigen Bahnhofsklo mit Fixern. Eine Servierte mit Kuchen in der Hand.
Lehmann auf dem Rummel mit seiner kleinen Schwester.
Rosafarbene Zuckerwatte. Graue Wolken.
Er erwacht durch ein Krachen. Der Stein ist ihm aus der Hand gefallen und auf dem Boden aufgeschlagen.
Frau Mazschek flucht.
Lehmann wankt, spürt die raue Tapete an seinen Händen.
Er greift zum nächsten Gegenstand. Eine Taubenfeder.
Seine Finger fahren die fragile Form nach, ertasten die weiche Oberfläche.
Unter seinen Füßen ist weißer Kies.
Lehmann sitzt auf einer grünen Bank im Krankenhauspark, die Feder in den Händen.
Schwarze Schuhe auf weißem Kies, als er nach unten sieht.
Dann sonnenbeschiene Bäume in einem Wald. Der feste, unebene Waldboden drückt in Lehmanns Rücken. Der Duft von Sommer in seiner Nase.
Dann Abgase.
Lehmann in Berlin Mitte. Gemeinsam mit seiner Exfrau Petra mit einem großen Sommerhut.
Sonnenstrahlen auf Lehmanns Gesicht.
Dann: Ein Brillengestell.
Das Sterbebett seiner kranken Schwester. Unzählige Schläuche und Gerätschaften.
Die weiße Bettwäsche, ihre blasse Hand auf seiner.
Sonnengebräunte Mitarbeiter. Lehmann wird von seinem Chef entlassen.
Lehmann am Grab.
Lehmann wieder im Wald.
Schneebehangene Bäume im Winter `94.
Schneebehangene Bäume im Winter `95.
Lehmann steht unschlüssig am Straßenrand, ihm gegenüber sein ehemaliges Zuhause. Die Sonne auf dem weißen Schnee, der Kontrast zu dem schwarzen Asphalt.
Der harte Holzboden an Lehmanns Wange, als er die Augen öffnet.
Ein durchdringendes Geräusch. Es schellt an der Tür.
Frau Mazschek?
Einen Spaltbreit öffnet Lehmann die Tür erneut.
Niemand.
Ein erneutes lautes Schellen, das durch sein Bewusstsein dringt.
Lehmann erwacht in seinem Bett.
(c)

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Montag, 14. Januar 2013
Die Welt in meinem Kopf
Kairo musste sich kurz den Kopf halten.
Etwas Unbändiges drückte von innen gegen seinen Schädel.
Urplötzlich wurde seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart gelenkt.
Eine Frau mit dreckigem Kopftuch und einem Kind im Arm zerrte ihm an seinen Kleidern und schrie.
Sie wurde weggestoßen. Zurück in die wabernde Masse von Menschen auf dem staubigen Marktplatz.
Hände wurden nach Kairo ausgestreckt. Dreckige Hände. Mit Blasen und Narben übersäht.
Seine Wächter waren kaum in der Lage ihm von dem geifernden Mob zu trennen.
Der Verurteilte am Pranger.
Es roch nach Blut, Rauch und Schweiß.
Man begann zu sprechen. Seine Untaten vorzutragen.
Es fiel Kairo schwer sich zu konzentrieren. Die Menschen. Die aufgerührten Farben und Geräusche.
Die Gedanken in seinem Kopf.
Die Empfindungen in seiner Brust.
„… Zum Tode verurteilt.“
Die Masse raunte. Frauen schrien.
Ein heiseres Männerlachen.
Kairos Atem ging flach und er unterdrückte den Wunsch aufzuschreien.
Es muss so sein. Das ist deine Aufgabe.
Hallten die Worte seines Vaters ihm im Kopf wieder.
In dieser Welt ist alles verkehrt. Dachte er.
Starr und aufrecht stand er da.
Die Mittagssonne brannte auf seiner Haut. Ein Olivenbaum in seiner Nähe war bereits verdorrt von der Hitze.
Von der Trockenheit. Der Nüchternheit dieses Landes, die alle ganz irrational machte.
Der Scharfrichter trat vor.
Ein weißes Leinentuch wurde auf dem Boden ausgebreitet um Wohlwollen, Reinheit und Frieden zu symbolisieren.
Töricht. Dachte sich Kairo.
Wieder ein Anfall wilder Stimmen in seinem Schädel.
Der Wunsch -
All dieser Falschheit ein Ende zu bereiten.
Augen zu öffnen.
Feuer in seiner Brust.
Hass und Verachtung in seinen Adern.
Ein Dumpfer Schlag.
Kontrastreiche Röte auf dem weißen Leinen.
„Kairo!“
Der aufgebrachte Mob wurde still, bis keine Regung mehr wahrzunehmen war.
Kairo,
der seinen Blick kaum abwenden konnte – nicht aus Entsetzen, sondern unterdrückter Entschlossenheit – brachte mühevoll die erlernten, geschluckten Worte hervor.
„Der Wahrheit wurde genüge getan. Die Gerechtigkeit hat gesiegt. Wir haben unserem Gott gedient.“
Die Worte, widerwillig aber kraftvoll ausgespien, wandte er sich ab.
Weg von der Masse, die nach Aufmerksamkeit ihres Herrschers gierte.
„Wir gehen.“ Raunte er einem seiner Gefolgsleute leise zu, seine eindringliche Stimme verlor sich im zufriedenen, genährten Murmeln der Masse.

Kairo auf dem Dach seines Palastes.
Kairo unter der schweren Abendsonne, dem müßigen Wind, den Lauten der unruhigen Stadt.
An seinem Hinterkopf eine selbst zugefügte Wunde.
Er hatte versucht sich die Gedanken aus dem Kopf zu schlagen.
Das Pochen, Drängen, Reißen.
Den Wahnsinn.
Hatte versucht das brennen in seiner Brust zu beruhigen. Den Hass in seinen Händen zu bändigen. Ihm ein Opfer zu geben.
„Herr-“ Jemand trat zu ihm und stutzte, als er die gedankenverklebten Haare sah.
Kairo blickte auf die roten Hände.
Der Bedienstete fasste sich.
„Eine der Frauen aus dem nahegelegenen Dorf ist eingetroffen. Darf ich sie zu euch führen?“
Kairo nickte knapp.
Es war Brauch in den Dörfern, um die Gunst des Herrschenden zu erlangen, ihm ein Geschenk für seinen Harem zu machen.
Doch Nadia, das sah Kairo auf einem Blick. Nadia nicht.
Sie hieß auch nicht Nadia.
Lola.
Er kannte sie bereits.
„Bringt sie in meine Gemächer.“

„Ein Krieg. Das wollt ihr. Brutalität und Hass schüren.“
Lola spuckte die Worte aus.
Kairo nickte.
„Ist das alles? Was seit ihr nur für ein Mensch!“ Ein gefährliches Funkeln in den Augen der Anführerin der Rebellen.
Kairo ging an das Fenster.
Tief unter ihm das Meer, das gegen wie Brandung gepeitscht wurde.
Der gespenstisch tief blaue Ozean im Licht der Sterne.
In einem anderen Leben wäre er ihr Verbündeter.
Oder das Meer.
Kurz hielt er inne. Wartete auf Ruhe in seinem Kopf. Denn dort herrschte eine Welt, die all die Farben und Lichtspiele um ihn herum verhöhnte, als seien sie nur unscharfe Schatten.
Kairo legte sich ausgestreckt auf den Boden.
Den Kopf so, dass er die Sterne sehen konnte.
Und er begann zu sprechen
„Während ich eines Nachts den Himmel so betrachtete, überkam mich eine Empfindung, wie ich sie zuvor nicht kannte und nicht benennen konnte.
Diese Empfindung nährte sich von allem Schönen in der Welt. Von allem Glück, jeder Reinheit, Vernunft, Tiefe.“
Ein Stern fiel herab.
„Aber auch von allem Schlechten. All dem Leid, dem Hass, der Zwietracht. Der Finsternis in unserem Herzen. All das hat eine furchtbare Ästhetik.“
Lola stand verwirrt im Raum.
„Aber Du mordest Menschen auf bestialische Weise. Du…“
Kannst kein feinfühliger Mensch sein.
„Die Menschen sind krank.“
Das Meer, vom Wind gepeitscht, brauste auf.
„Sie lieben die rohe Brutalität, ihren Herrscher, ihren Gott. Sie wissen nichts von der wahren Welt, sie-“
„Was weißt DU denn schon?“ Aufgebracht hatte Lola sich drohend über ihm gebeugt. Augen brannten in ihrem Gesicht.
Wie das Feuer.
Das Drücken in seinem Hirn.
Das laute Meer.
Das Stöhnen der schlafenden Stadt.
„Ich will nicht herrschen.“ Kairos Worte wie kühles Wasser. „Ich will nicht beherrscht werden.
Ich kann nicht herrschen. Niemand kann mich beherrschen.
Ich bin das Unkraut im Garten Eden.
Ich bin das Auge das sieht, doch die Zunge fehlt mir!“
Ein Atemzug und alle Mauern waren eingerissen. Kairo, ohne dass er wusste wie ihm geschah, stand vor dem Fenster, die Arme ausgestreckt, gen Himmel blickend.
„Abgeschlagen wurde sie mir. Mit der Klinge der Menschlichkeit.
Mein eigenes Blut fließt durch diesen Kopf, meine eigenen Gedanken durch meinen Körper.
Doch ihr wollt nur die Haut!
Nehmt sie!
Kratzt sorgfältig die roten Rinnsale meiner Welt ab!
Ich bin der einsame Narr! Das Menschenkind unter den Wölfen!
Ich bin nicht der Herrscher.
Ich bin nicht der Mensch.
Nicht meine Haut.
Ich bin die starke, leidenschaftliche Empfindung. Bin die Wut in meinen Adern, die Welt in meinem Kopf!“
Ein freier Fall in die tiefe Linderung des Meeres.

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