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Dienstag, 29. Januar 2013
Apartment 13 D; Erster Teil
dermensch, 21:06h
„Ich habe die zündende Idee!“
Ohne anzuklopfen war Jonas in das Zimmer seines Mitbewohners gestürmt.
„Achja?“
Sam saß an seinem PC. Die Rolladen heruntergelassen. Um ihn herum Dunkelheit.
Die einzige Lichtquelle das Flimmern seines Bildschirms.
„Wir stellen eine Annonce in die Zeitung!“
Sam zog an seiner Zigarette und stieß den Rauch bewusst langsam wieder aus.
„Habe ich das nicht schon vor einigen Tagen vorgeschlagen?“
„Ja. Aber da bestand noch die Chance, dass Laura hier einzieht. Und die ist echt scharf, man.“
„Mhm.“ Machte Sam nur.
„Ich finde schon ein passendes WG-Mitglied, lass mich nur machen!“ Mit den Worten verschwand Jonas wieder aus dem Türrahmen.
„Sicher.“
Sam drückte die Zigarette aus und schüttelte den Kopf.
Zwei Wochen später war es soweit.
Als Sam sich gerade am Kühlschrank zu schaffen machen wollte, wurde er von Jonas überfallen.
Von Jonas und Cindy.
Cindy, die sich schon von weitem mit ihrem Kichern bei Sam unbeliebt machte.
„Das ist sie: Unsere neue Mitbewohnerin.“
Ein übertrieben fröhliches Gesicht – zumindest das, was man unter der Schminke erahnen konnte.
„Aha.“ Machte Sam nur und wühlte weiter im Kühlschrank.
„Der ist aber echt komisch.“ Flüsterte Cindy Jonas zu. Etwas zu laut um es überhören zu können.
Sam räusperte sich und legte einen Arm über die geöffnete Kühlschranktür.
„Du hast ihr aber gesagt, dass sie von nun an mit einem Psychopathen und einem Verrückten zusammenleben muss?“
Cindys kichern erstarb.
Jonas versuchte eine lockere Geste zu machen um die Situation zu retten.
„Ach, so verrückt bin ich gar nicht. Ich…“
„Nein. Ich bin der Verrückte, du der Psychopath.“ Unterbrach Sam ihn kopfschüttelnd.
Jonas brachte nur noch ein Stammeln zustande, während Cindy verwirrt zwischen beiden hin- und herschaute.
Sam stapelte derweil ein paar Tiefkühlprodukte auf dem Küchentisch und schloss den Kühlschrank.
„Bin in meinem Zimmer.“ Kommentierte Sam das Unübersehbare, als er sich mit den aufgestapelten Schachteln und einer Kippe im Mund an den beiden aus der Küche drängelte.
Im Weggehen hörte er noch, wie Jonas etwas sagte wie: „… Kann einfach nicht mit Fremden… Muss noch etwas warm werden.“
Ja. Klar.
Am nächsten Morgen wurde Sam von einem unbekannten Geräusch geweckt.
Einem unbekannten Geräusch und Sonnenstrahlen auf seiner Haut.
„Was zum Teufel?“
Er sprang auf.
„Wie sieht es denn hier aus?“ Mitten im Zimmer stand Cindy.
Cindy zwischen leeren Colaosen, alten Schachteln von Fertiggerichten, Klamotten.
„Du isst die, ohne aufzuwärmen?“
Angewidert hält sie die Verpackung einer Tiefkühlpizza in die Höhe.
Sam war derweil zum Fenster gestapft um die Rollläden wieder herunter zu lassen.
Cindy gab ein kehliges Geräusch von sich um ihren Unmut darüber zu äußern.
„Was hast Du hier zu suchen? Hast Du keine Modezeitschriften mehr, in denen du Bildchen gucken kannst, oder was?“
Cindy schnaubte.
„Irgendwas ist mit Jonas, er hat seine Zimmertür abgeschlossen.“
„Das ist normal.“ Sam hatte sich wieder auf sein Bett gelegt und machte eine Handbewegung um Cindy deutlich zu machen, dass sie verschwinden sollte. „Und jetzt hau ab.“
„Nein! Er antwortet nicht mal, wenn ich klopfe. Was ist, wenn er irgendwas hat, oder ihm was zugestoßen ist?“
Sam wurde hellhörig.
„Du hast geklopft?“
Cindy nickte aufgewühlt.
„Verdammte Scheiße.“ Sam schwang sich aus dem Bett.
Und das auch noch so früh am Morgen.
Nur bekleidet mit einer Boxershort taumelte er hinaus in den schmalen Flur.
Vor Jonas‘ Zimmertür blieb er stehen und lehnte sich an den Rahmen.
„Hey Alter. Ich bins. Sam. Mach die Tür auf, man.“
Cindy erschien hinter ihm und machte ein pikiertes Gesicht.
Offenbar störte sie sich daran, dass Sam sich nichts übergezogen hatte.
Er grinste und ließ seine schiefen Zähne sehen.
Im Zimmer tat sich derweil nichts.
„Komm‘ schon, man. Das haben wir doch schon alles hinter uns.“
Dann ein leises Klicken und ein Poltern im Zimmer.
„Geht doch.“
Sam drückte die Klinke herunter und trat in das kleine Zimmer.
In einer Ecke, zusammengekauert, saß Jonas.
Cindy gab einen erschrockenen Laut von sich, während Jonas sein tränenüberströmtes Gesicht zeigte.
Sam setzte sich zu ihm auf den Boden und legte einen Arm um seine Schulter.
„Alles klar?“
„E…. es… es hat geklopft.“ Stotterte Jonas vor sich hin und starrte ins leere.
„Oh Gott, was hat er denn?“ Cindy wollte gerade auf ihn zustürmen, da machte Sam eine Handbewegung um sie aufzuhalten „Psssst!“
Dann wandte er sich wieder Jonas zu.
„Alles okay, man. Es war nur Cindy. Kein Grund zur Panik.“
„… Nur Cindy..“ plapperte Jonas nach.
Sam warf ihr einen Blick zu.
Unentschlossen stand sie im Zimmer.
„Okay Jungs. Ich habe jetzt gelernt, dass ich bei Sam nicht die Rollos hochmachen darf und bei Jonas nicht klopfen darf, weil er ein Trauma aus seiner Kindheit hat. Sonst noch was, was ich wissen sollte?“
Cindy hatte wieder eine Gutelaune Stimme aufgesetzt.
Die drei saßen am Tisch in der Küche. Sam starrte in seine Kaffeetasse und Jonas hatte sich eine Pizza bringen lassen.
„Du solltest wissen, dass ich immer kann, Süße.“ Jonas zwinkerte ihr zu, wobei er nicht darauf achtete, dass der Belag seiner Pizza gerade der Gravitationskraft zum Opfer fiel.
Sie machte ein angewidertes Gesicht.
„Geh‘ mir bloß nicht nochmal auf den Sack.“ Knurrte Sam „Dann kommen wir prima miteinander aus.“
„Aber …“ Sie stieß die Luft aus. „Ich dachte, wir könnten vielleicht was zusammen unternehmen. Kochen, Filme schauen, saufen, was eine WG ebenso macht..“
„Klar“ und „Würde mir im Traum nicht einfallen.“ Kam gleichzeitig von Jonas und Sam.
Sam funkelte den hoffnungsvoll grinsenden Jonas von der Seite an.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass wir beide mal zusammen gekocht hätten.“
„Ich bin ja auch nicht schwul.“ Verteidigte sich Jonas. Und machte eine lässige Handbewegung „Aber jetzt, wo wir eine neue Mitbewohnerin haben, könnten wir doch was daran ändern!“
Er warf Cindy ein gewinnendes Lächeln zu. Und auch sie grinste seelig vor sich hin.
„Du willst schwul werden?“ Sam hob eine Augenbraue.
„Nein, nein ich meinte..“
„Hör auf dir morgens einen auf Johnny Depp runterzuholen, dann können wir weiterreden.“ Sam schnappte sich den Kaffeebecher und stand auf.
Cindy kicherte, als wäre das nur ein Witz.
Ohne ein weiteres Wort verschwand Sam in sein Zimmer.
(c)
Ohne anzuklopfen war Jonas in das Zimmer seines Mitbewohners gestürmt.
„Achja?“
Sam saß an seinem PC. Die Rolladen heruntergelassen. Um ihn herum Dunkelheit.
Die einzige Lichtquelle das Flimmern seines Bildschirms.
„Wir stellen eine Annonce in die Zeitung!“
Sam zog an seiner Zigarette und stieß den Rauch bewusst langsam wieder aus.
„Habe ich das nicht schon vor einigen Tagen vorgeschlagen?“
„Ja. Aber da bestand noch die Chance, dass Laura hier einzieht. Und die ist echt scharf, man.“
„Mhm.“ Machte Sam nur.
„Ich finde schon ein passendes WG-Mitglied, lass mich nur machen!“ Mit den Worten verschwand Jonas wieder aus dem Türrahmen.
„Sicher.“
Sam drückte die Zigarette aus und schüttelte den Kopf.
Zwei Wochen später war es soweit.
Als Sam sich gerade am Kühlschrank zu schaffen machen wollte, wurde er von Jonas überfallen.
Von Jonas und Cindy.
Cindy, die sich schon von weitem mit ihrem Kichern bei Sam unbeliebt machte.
„Das ist sie: Unsere neue Mitbewohnerin.“
Ein übertrieben fröhliches Gesicht – zumindest das, was man unter der Schminke erahnen konnte.
„Aha.“ Machte Sam nur und wühlte weiter im Kühlschrank.
„Der ist aber echt komisch.“ Flüsterte Cindy Jonas zu. Etwas zu laut um es überhören zu können.
Sam räusperte sich und legte einen Arm über die geöffnete Kühlschranktür.
„Du hast ihr aber gesagt, dass sie von nun an mit einem Psychopathen und einem Verrückten zusammenleben muss?“
Cindys kichern erstarb.
Jonas versuchte eine lockere Geste zu machen um die Situation zu retten.
„Ach, so verrückt bin ich gar nicht. Ich…“
„Nein. Ich bin der Verrückte, du der Psychopath.“ Unterbrach Sam ihn kopfschüttelnd.
Jonas brachte nur noch ein Stammeln zustande, während Cindy verwirrt zwischen beiden hin- und herschaute.
Sam stapelte derweil ein paar Tiefkühlprodukte auf dem Küchentisch und schloss den Kühlschrank.
„Bin in meinem Zimmer.“ Kommentierte Sam das Unübersehbare, als er sich mit den aufgestapelten Schachteln und einer Kippe im Mund an den beiden aus der Küche drängelte.
Im Weggehen hörte er noch, wie Jonas etwas sagte wie: „… Kann einfach nicht mit Fremden… Muss noch etwas warm werden.“
Ja. Klar.
Am nächsten Morgen wurde Sam von einem unbekannten Geräusch geweckt.
Einem unbekannten Geräusch und Sonnenstrahlen auf seiner Haut.
„Was zum Teufel?“
Er sprang auf.
„Wie sieht es denn hier aus?“ Mitten im Zimmer stand Cindy.
Cindy zwischen leeren Colaosen, alten Schachteln von Fertiggerichten, Klamotten.
„Du isst die, ohne aufzuwärmen?“
Angewidert hält sie die Verpackung einer Tiefkühlpizza in die Höhe.
Sam war derweil zum Fenster gestapft um die Rollläden wieder herunter zu lassen.
Cindy gab ein kehliges Geräusch von sich um ihren Unmut darüber zu äußern.
„Was hast Du hier zu suchen? Hast Du keine Modezeitschriften mehr, in denen du Bildchen gucken kannst, oder was?“
Cindy schnaubte.
„Irgendwas ist mit Jonas, er hat seine Zimmertür abgeschlossen.“
„Das ist normal.“ Sam hatte sich wieder auf sein Bett gelegt und machte eine Handbewegung um Cindy deutlich zu machen, dass sie verschwinden sollte. „Und jetzt hau ab.“
„Nein! Er antwortet nicht mal, wenn ich klopfe. Was ist, wenn er irgendwas hat, oder ihm was zugestoßen ist?“
Sam wurde hellhörig.
„Du hast geklopft?“
Cindy nickte aufgewühlt.
„Verdammte Scheiße.“ Sam schwang sich aus dem Bett.
Und das auch noch so früh am Morgen.
Nur bekleidet mit einer Boxershort taumelte er hinaus in den schmalen Flur.
Vor Jonas‘ Zimmertür blieb er stehen und lehnte sich an den Rahmen.
„Hey Alter. Ich bins. Sam. Mach die Tür auf, man.“
Cindy erschien hinter ihm und machte ein pikiertes Gesicht.
Offenbar störte sie sich daran, dass Sam sich nichts übergezogen hatte.
Er grinste und ließ seine schiefen Zähne sehen.
Im Zimmer tat sich derweil nichts.
„Komm‘ schon, man. Das haben wir doch schon alles hinter uns.“
Dann ein leises Klicken und ein Poltern im Zimmer.
„Geht doch.“
Sam drückte die Klinke herunter und trat in das kleine Zimmer.
In einer Ecke, zusammengekauert, saß Jonas.
Cindy gab einen erschrockenen Laut von sich, während Jonas sein tränenüberströmtes Gesicht zeigte.
Sam setzte sich zu ihm auf den Boden und legte einen Arm um seine Schulter.
„Alles klar?“
„E…. es… es hat geklopft.“ Stotterte Jonas vor sich hin und starrte ins leere.
„Oh Gott, was hat er denn?“ Cindy wollte gerade auf ihn zustürmen, da machte Sam eine Handbewegung um sie aufzuhalten „Psssst!“
Dann wandte er sich wieder Jonas zu.
„Alles okay, man. Es war nur Cindy. Kein Grund zur Panik.“
„… Nur Cindy..“ plapperte Jonas nach.
Sam warf ihr einen Blick zu.
Unentschlossen stand sie im Zimmer.
„Okay Jungs. Ich habe jetzt gelernt, dass ich bei Sam nicht die Rollos hochmachen darf und bei Jonas nicht klopfen darf, weil er ein Trauma aus seiner Kindheit hat. Sonst noch was, was ich wissen sollte?“
Cindy hatte wieder eine Gutelaune Stimme aufgesetzt.
Die drei saßen am Tisch in der Küche. Sam starrte in seine Kaffeetasse und Jonas hatte sich eine Pizza bringen lassen.
„Du solltest wissen, dass ich immer kann, Süße.“ Jonas zwinkerte ihr zu, wobei er nicht darauf achtete, dass der Belag seiner Pizza gerade der Gravitationskraft zum Opfer fiel.
Sie machte ein angewidertes Gesicht.
„Geh‘ mir bloß nicht nochmal auf den Sack.“ Knurrte Sam „Dann kommen wir prima miteinander aus.“
„Aber …“ Sie stieß die Luft aus. „Ich dachte, wir könnten vielleicht was zusammen unternehmen. Kochen, Filme schauen, saufen, was eine WG ebenso macht..“
„Klar“ und „Würde mir im Traum nicht einfallen.“ Kam gleichzeitig von Jonas und Sam.
Sam funkelte den hoffnungsvoll grinsenden Jonas von der Seite an.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass wir beide mal zusammen gekocht hätten.“
„Ich bin ja auch nicht schwul.“ Verteidigte sich Jonas. Und machte eine lässige Handbewegung „Aber jetzt, wo wir eine neue Mitbewohnerin haben, könnten wir doch was daran ändern!“
Er warf Cindy ein gewinnendes Lächeln zu. Und auch sie grinste seelig vor sich hin.
„Du willst schwul werden?“ Sam hob eine Augenbraue.
„Nein, nein ich meinte..“
„Hör auf dir morgens einen auf Johnny Depp runterzuholen, dann können wir weiterreden.“ Sam schnappte sich den Kaffeebecher und stand auf.
Cindy kicherte, als wäre das nur ein Witz.
Ohne ein weiteres Wort verschwand Sam in sein Zimmer.
(c)
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Montag, 28. Januar 2013
Der Angelus Novus
dermensch, 11:28h
_Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt._
Sigmund war nicht gläubig.
Als er im schlimmsten Schneetreiben die Bibliothek verließ, hatte er ununterbrochen die gelesenen Worte im Kopf.
London war für ihn nie eine schöne Stadt.
Aber im Winter sah es ein wenig so aus, wie in seiner geliebten Heimat.
Geliebt.
Sigmund blieb unter einer Gaslaterne stehen und blätterte noch einmal unruhig durch die Unterlagen in seiner Tasche.
Ja. Ja.
Er hatte es mitgenommen.
Einige Straßen weiter blieb er vor einem Haus stehen.
Er schauderte kurz, aber dann klopfte er.
Ludwig öffnete ihm die Tür.
„Zu so später Stunde?“ Fragte er lachend.
Sigmund drängte sich an ihm vorbei in den Hausflur.
Konnte nicht lachen.
„Ich habe etwas gefunden.“ Flüsterte er auf dem Weg nach oben.
Durch das dunkle, kalte Treppenhaus.
Zur Dachkammer.
Ludwig zündete ein paar Kerzen an.
Doch das war kaum notwendig, Sigmund kannte sie zu gut.
Die staubige Violine in der Ecke, der alte, abgenutzte Tisch.
Zwei Sessel.
Wie viele Nächte und Gedanken hatte er hier verlebt.
Verlebt.
Er förderte ein Buch und einige Blätter aus seiner Tasche.
Begann laut vorzulesen:
_„Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“_
Ludwig nickte stumm.
„Du meinst, das ist, wonach wir suchen?“
„Ja.“
Als Sigmund das Haus seines Freundes verließ, hatte es bereits aufgehört zu schneien.
Der Mond stand hoch am Horizont.
Die kalte Nachtluft schmerzte in seinen Lungen.
Sein Weg führte ihn an der Themse vorbei.
Der breite Kanal floss ruhig dahin.
Das Wasser ignorierte die Kälte der rauen Winternacht.
Kälte.
Durch ein ungewöhnliches Geräusch unterbrach Sigmund seine Gedanken und blickte sich um.
Um diese Stunde war keiner mehr auf dem schmalen Fußweg zu sehen.
Und dennoch überkam ihn ein unangenehmes Gefühl.
Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg fort.
Furcht.
Diese Empfindung sollte gerade ihm fremd sein.
Unwillkürlich kam ein starker Sturm auf.
Sigmund taumelte ein paar Schritte zur Seite.
Umherwehende Schneeflocken verschleierten ihm die Sicht.
Er nahm einen unwirklichen Schrei wahr.
Einen Schrei.
Sigmund riss seinen Kopf herum.
Geblendet von Licht musste er sich die Hand vors Gesicht halten.
Der Sturm fegte den Schnee auf die leuchtende Gestalt zu.
Sigmund zitterte.
Alle Farben wichen.
Der Schrei.
Das Licht.
Der Sturm.
So intensiv, dass es an all seinen Sinnen zerrte.
Vor ihm der Engel.
Der Angelus Novus.
So prächtig, glänzend und leidend.
So überirdisch und perfekt die aufgespannten Flügel.
Er starrte Sigmund direkt ins Gesicht.
Was für ein entsetzlicher Ausdruck auf seinen Zügen.
Sigmund konnte sich nicht mehr halten.
Er fiel auf die Knie.
Tränen liefen über seine Wangen.
Ein Knarren.
Trümmer der Vergangenheit trafen den Engel.
Getroffen.
Verletzt fiel er.
Der Wind ließ nach.
Auf der anderen Seite des Flusses erkannte Sigmund ihn.
Ein Mensch.
Ein Mensch im dreckigen Wasser der Themse.
Qualvoll langsam entzog er sich der Strömung.
Hustend.
Zitternd.
Er drehte sich zu Sigmund.
„Sigmund.“
Ein Flüstern inmitten des rauschenden Wassers.
Oder hatte er sich das nur eingebildet?
„Es ist kein Kopf-“
Wieder ein Husten.
Dann lauter, kratzig:
„Es ist kein Kopfgeist! Es ist kein Kopfgeist den du suchst, den Du finden wirst!“
Kein Wind mehr.
„Der Mensch ist nicht der Fortschritt. Nicht sein Intellekt. Der Mensch ist die starke, leidenschaftliche Empfindung in seiner Brust. Was auch immer sie hervorbringen mag!
Du weißt es doch. Du weißt doch wie der Mensch ist!“
Sigmund erhob sich, als er die Worte hörte.
„Nein! Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat. "
Der gefallene Engel lachte matt und höhnisch.
„Ein Laienspiel!
Der Mensch ist das dreckige Wasser dieses Flusses.
Die Gier, der Neid, die Liebe, die Sehnsucht.
Und das erst erschuf mich, den Angelus Novus.
Nicht umgekehrt.
Spürst du nicht den Unterschied, Mensch?“
Sigmund stolperte ein paar Schritte Rückwärts.
Fiel zu Boden.
Auffangen konnte er sich, aber seine Hände schabten über den eisigen Grund.
Das war kein Traum.
Das konnte kein Traum gewesen sein.
(c)
Sigmund war nicht gläubig.
Als er im schlimmsten Schneetreiben die Bibliothek verließ, hatte er ununterbrochen die gelesenen Worte im Kopf.
London war für ihn nie eine schöne Stadt.
Aber im Winter sah es ein wenig so aus, wie in seiner geliebten Heimat.
Geliebt.
Sigmund blieb unter einer Gaslaterne stehen und blätterte noch einmal unruhig durch die Unterlagen in seiner Tasche.
Ja. Ja.
Er hatte es mitgenommen.
Einige Straßen weiter blieb er vor einem Haus stehen.
Er schauderte kurz, aber dann klopfte er.
Ludwig öffnete ihm die Tür.
„Zu so später Stunde?“ Fragte er lachend.
Sigmund drängte sich an ihm vorbei in den Hausflur.
Konnte nicht lachen.
„Ich habe etwas gefunden.“ Flüsterte er auf dem Weg nach oben.
Durch das dunkle, kalte Treppenhaus.
Zur Dachkammer.
Ludwig zündete ein paar Kerzen an.
Doch das war kaum notwendig, Sigmund kannte sie zu gut.
Die staubige Violine in der Ecke, der alte, abgenutzte Tisch.
Zwei Sessel.
Wie viele Nächte und Gedanken hatte er hier verlebt.
Verlebt.
Er förderte ein Buch und einige Blätter aus seiner Tasche.
Begann laut vorzulesen:
_„Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“_
Ludwig nickte stumm.
„Du meinst, das ist, wonach wir suchen?“
„Ja.“
Als Sigmund das Haus seines Freundes verließ, hatte es bereits aufgehört zu schneien.
Der Mond stand hoch am Horizont.
Die kalte Nachtluft schmerzte in seinen Lungen.
Sein Weg führte ihn an der Themse vorbei.
Der breite Kanal floss ruhig dahin.
Das Wasser ignorierte die Kälte der rauen Winternacht.
Kälte.
Durch ein ungewöhnliches Geräusch unterbrach Sigmund seine Gedanken und blickte sich um.
Um diese Stunde war keiner mehr auf dem schmalen Fußweg zu sehen.
Und dennoch überkam ihn ein unangenehmes Gefühl.
Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg fort.
Furcht.
Diese Empfindung sollte gerade ihm fremd sein.
Unwillkürlich kam ein starker Sturm auf.
Sigmund taumelte ein paar Schritte zur Seite.
Umherwehende Schneeflocken verschleierten ihm die Sicht.
Er nahm einen unwirklichen Schrei wahr.
Einen Schrei.
Sigmund riss seinen Kopf herum.
Geblendet von Licht musste er sich die Hand vors Gesicht halten.
Der Sturm fegte den Schnee auf die leuchtende Gestalt zu.
Sigmund zitterte.
Alle Farben wichen.
Der Schrei.
Das Licht.
Der Sturm.
So intensiv, dass es an all seinen Sinnen zerrte.
Vor ihm der Engel.
Der Angelus Novus.
So prächtig, glänzend und leidend.
So überirdisch und perfekt die aufgespannten Flügel.
Er starrte Sigmund direkt ins Gesicht.
Was für ein entsetzlicher Ausdruck auf seinen Zügen.
Sigmund konnte sich nicht mehr halten.
Er fiel auf die Knie.
Tränen liefen über seine Wangen.
Ein Knarren.
Trümmer der Vergangenheit trafen den Engel.
Getroffen.
Verletzt fiel er.
Der Wind ließ nach.
Auf der anderen Seite des Flusses erkannte Sigmund ihn.
Ein Mensch.
Ein Mensch im dreckigen Wasser der Themse.
Qualvoll langsam entzog er sich der Strömung.
Hustend.
Zitternd.
Er drehte sich zu Sigmund.
„Sigmund.“
Ein Flüstern inmitten des rauschenden Wassers.
Oder hatte er sich das nur eingebildet?
„Es ist kein Kopf-“
Wieder ein Husten.
Dann lauter, kratzig:
„Es ist kein Kopfgeist! Es ist kein Kopfgeist den du suchst, den Du finden wirst!“
Kein Wind mehr.
„Der Mensch ist nicht der Fortschritt. Nicht sein Intellekt. Der Mensch ist die starke, leidenschaftliche Empfindung in seiner Brust. Was auch immer sie hervorbringen mag!
Du weißt es doch. Du weißt doch wie der Mensch ist!“
Sigmund erhob sich, als er die Worte hörte.
„Nein! Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat. "
Der gefallene Engel lachte matt und höhnisch.
„Ein Laienspiel!
Der Mensch ist das dreckige Wasser dieses Flusses.
Die Gier, der Neid, die Liebe, die Sehnsucht.
Und das erst erschuf mich, den Angelus Novus.
Nicht umgekehrt.
Spürst du nicht den Unterschied, Mensch?“
Sigmund stolperte ein paar Schritte Rückwärts.
Fiel zu Boden.
Auffangen konnte er sich, aber seine Hände schabten über den eisigen Grund.
Das war kein Traum.
Das konnte kein Traum gewesen sein.
(c)
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Sonntag, 27. Januar 2013
Die Welt in meinem Kopf II
dermensch, 19:43h
„Kairo!“ Eine flüsternde Stimme an Kairos Ohr weckt ihn.
Das Summen eines Ventilators.
Dann die Decke des schäbigen Hotelzimmers, als er die Augen öffnet.
Und das laute Hupen von den staubigen Straßen der Stadt.
Was für ein Traum.
Kairo schüttelt den Gedanken ab und nimmt einen Plastikbecher mit klarer Flüssigkeit zur Hand.
Spuckt sie wieder aus.
Am Waschbecken.
Kairo sieht sein zerfurchtes Gesicht im Spiegel.
Der Ventilator brummt.
Was ist das an seinem Hinterkopf?
Er betastet die Stelle- seine Finger fahren über eine raue, krustige Stelle.
Ich habe geblutet?
Es klopft.
Kairo fährt erschrocken hoch.
„Ja?“
Lola tritt ein.
„Siehst Scheiße aus.“
Danke auch.
Kairo versucht erneut aus dem Becher zu trinken und hustet.
Er setzt sich aufs Bett und versucht seine Gedanken zu sortieren.
Lola am Fenster.
Die laute Stadt.
„Ist dir was eingefallen?“ sie verschränkt die Arme vor der Brust.
Er betastet wieder seinen Hinterkopf.
Nichts.
„Hast du wieder geträumt?“ Sie wendet sich zu ihm.
Alle Geräusche werden lauter. Kairo will sich die Ohren zuhalten.
Dann ist es plötzlich still.
Als wäre er unter Wasser getaucht.
Er wird an seinen Armen wieder an die Oberfläche gezogen.
„…zu dir!“
Lola hat ihn an beiden Armen gepackt.
Und schaut ihm in die Augen.
Ihre Augen.
Kairo muss schlucken.
„Wir müssen ans Meer.“
Sie nimmt etwas Abstand und betrachtet ihn besorgt.
Dann nickt sie stumm.
Kairo nimmt einen tiefen Atemzug.
Einen Atemzug von der brennend heißen, stickigen Luft.
Kairo in einem Jeep.
Irgendwo im stickig lauten Verkehr der urbanisierten Wüstenstadt.
Sein Kopf nur noch leer.
Im Hotel hat er sich die Haare abgeschnitten.
Um die Wunde an seinem Hinterkopf zu finden.
Nichts.
Keine Gedanken.
Nur Schweiß auf Haut.
Haut auf Haut.
Empfindungen unter der Haut.
In seinem Schädel – so drückend
So verlangend.
„Kairo.“
Lola starrt ihn an.
In einem anderen Leben wäre er nur ein Regentropfen auf ihrer Haut.
Oder ihr Opfer.
„Alles klar.“
Er fährt sich mit der Hand über den tauben Hinterkopf.
„Warum das Meer?“
Kairo gibt einen erstickten Laut von sich.
Der Wagen schüttelt sie durch, als sie auf unwegsameres Gelände fahren.
Staub in Kairos Nase.
Schlamm in Kairos Lunge.
„Wir werden ihn dort finden.“
Lola schaut aus dem Fenster, geistesabwesend und nickt.
Kairo, bis zu den Knöcheln im heißen Sand.
Vor ihm erstreckt sich das Meer.
Der herbe Salzgeruch erfüllt seine Lungen.
Lola tritt an seine Seite.
„Wo ist er?“
Kairo deutet in die Ferne.
„Er ist auf dem Weg hierher.“
Stunden vergehen.
Stunden der Hitze und das Versprechen der Linderung durch das Meer.
Ein Schnellboot hält auf die Bucht zu.
„Kairo!“
Eine wütende Stimme, noch bevor der hoch gewachsene Mann aus dem Boot gestiegen ist.
„Wie hast du mich gefunden?“
Kairo schüttelt den Kopf.
Sagt aber nichts.
Lola zischt, stößt laut die Luft aus.
Hass in ihrem Gesicht.
Ihren Augen.
„Du hast Deine Macht ausgenutzt!“ Brüllt sie ihn an.
Kairo kämpft gegen einen Schmerz in seinem Kopf an.
Sein Gegenüber kommt auf ihn zu.
„Bin ich das Böse, Kairo?“ Er bleibt stehen. Ruhig. „Ist ein einziger Mensch das Böse?“
Lola gibt ein Zischen von sich, als sich der Mann Kairo nähert.
Er packt Kairo mit der flachen, nassen Hand auf den Schädel.
_Mein eigenes Blut fließt durch diesen Kopf, meine eigenen Gedanken durch meinen Körper.
Doch ihr wollt nur die Haut!
Nehmt sie!
Ich bin nicht der Herrscher.
Ich bin nicht der Mensch.
Nicht meine Haut.
Ich bin die starke, leidenschaftliche Empfindung. Bin die Wut in meinen Adern, die Welt in meinem Kopf!_
Kairo sieht sich unter dem Sternenhimmel in einem Palast.
Ein Schrei ringt sich aus seiner Kehle.
Eine furchtbare Erinnerung.
Gedanken fließen rot aus seiner Wunde am Hinterkopf.
Der Andere ganz nah an seinem Gesicht.
Heißer Atem auf seiner Stirn, seinen Augen.
„Sag es mir, Kairo! Sag es mir!“ Die Stimme des Mannes bebt, sein Körper zittert.
Seine Augen weit geöffnet vor Empfindung. „Wer zwingt uns diesen Weg zu gehen! Du weißt es doch bereits!“
Das Meer braust auf.
Heißer, staubiger Wind.
Die warme Flüssigkeit aus seinem Schädel.
„Wolltest Du dir die Gedanken aus dem Kopf schlagen?“
Kairo nickt.
Tränen quellen aus seinen Augen.
Er starrt stur auf das Meer.
„Die Menschen sind es. Der Mob.“
Sein Gegenüber nickt.
Lola bleibt unbewegt und fassungslos.
Kairo umarmt seinen Gegenüber.
Seinen liebsten Feind.
(c)
Das Summen eines Ventilators.
Dann die Decke des schäbigen Hotelzimmers, als er die Augen öffnet.
Und das laute Hupen von den staubigen Straßen der Stadt.
Was für ein Traum.
Kairo schüttelt den Gedanken ab und nimmt einen Plastikbecher mit klarer Flüssigkeit zur Hand.
Spuckt sie wieder aus.
Am Waschbecken.
Kairo sieht sein zerfurchtes Gesicht im Spiegel.
Der Ventilator brummt.
Was ist das an seinem Hinterkopf?
Er betastet die Stelle- seine Finger fahren über eine raue, krustige Stelle.
Ich habe geblutet?
Es klopft.
Kairo fährt erschrocken hoch.
„Ja?“
Lola tritt ein.
„Siehst Scheiße aus.“
Danke auch.
Kairo versucht erneut aus dem Becher zu trinken und hustet.
Er setzt sich aufs Bett und versucht seine Gedanken zu sortieren.
Lola am Fenster.
Die laute Stadt.
„Ist dir was eingefallen?“ sie verschränkt die Arme vor der Brust.
Er betastet wieder seinen Hinterkopf.
Nichts.
„Hast du wieder geträumt?“ Sie wendet sich zu ihm.
Alle Geräusche werden lauter. Kairo will sich die Ohren zuhalten.
Dann ist es plötzlich still.
Als wäre er unter Wasser getaucht.
Er wird an seinen Armen wieder an die Oberfläche gezogen.
„…zu dir!“
Lola hat ihn an beiden Armen gepackt.
Und schaut ihm in die Augen.
Ihre Augen.
Kairo muss schlucken.
„Wir müssen ans Meer.“
Sie nimmt etwas Abstand und betrachtet ihn besorgt.
Dann nickt sie stumm.
Kairo nimmt einen tiefen Atemzug.
Einen Atemzug von der brennend heißen, stickigen Luft.
Kairo in einem Jeep.
Irgendwo im stickig lauten Verkehr der urbanisierten Wüstenstadt.
Sein Kopf nur noch leer.
Im Hotel hat er sich die Haare abgeschnitten.
Um die Wunde an seinem Hinterkopf zu finden.
Nichts.
Keine Gedanken.
Nur Schweiß auf Haut.
Haut auf Haut.
Empfindungen unter der Haut.
In seinem Schädel – so drückend
So verlangend.
„Kairo.“
Lola starrt ihn an.
In einem anderen Leben wäre er nur ein Regentropfen auf ihrer Haut.
Oder ihr Opfer.
„Alles klar.“
Er fährt sich mit der Hand über den tauben Hinterkopf.
„Warum das Meer?“
Kairo gibt einen erstickten Laut von sich.
Der Wagen schüttelt sie durch, als sie auf unwegsameres Gelände fahren.
Staub in Kairos Nase.
Schlamm in Kairos Lunge.
„Wir werden ihn dort finden.“
Lola schaut aus dem Fenster, geistesabwesend und nickt.
Kairo, bis zu den Knöcheln im heißen Sand.
Vor ihm erstreckt sich das Meer.
Der herbe Salzgeruch erfüllt seine Lungen.
Lola tritt an seine Seite.
„Wo ist er?“
Kairo deutet in die Ferne.
„Er ist auf dem Weg hierher.“
Stunden vergehen.
Stunden der Hitze und das Versprechen der Linderung durch das Meer.
Ein Schnellboot hält auf die Bucht zu.
„Kairo!“
Eine wütende Stimme, noch bevor der hoch gewachsene Mann aus dem Boot gestiegen ist.
„Wie hast du mich gefunden?“
Kairo schüttelt den Kopf.
Sagt aber nichts.
Lola zischt, stößt laut die Luft aus.
Hass in ihrem Gesicht.
Ihren Augen.
„Du hast Deine Macht ausgenutzt!“ Brüllt sie ihn an.
Kairo kämpft gegen einen Schmerz in seinem Kopf an.
Sein Gegenüber kommt auf ihn zu.
„Bin ich das Böse, Kairo?“ Er bleibt stehen. Ruhig. „Ist ein einziger Mensch das Böse?“
Lola gibt ein Zischen von sich, als sich der Mann Kairo nähert.
Er packt Kairo mit der flachen, nassen Hand auf den Schädel.
_Mein eigenes Blut fließt durch diesen Kopf, meine eigenen Gedanken durch meinen Körper.
Doch ihr wollt nur die Haut!
Nehmt sie!
Ich bin nicht der Herrscher.
Ich bin nicht der Mensch.
Nicht meine Haut.
Ich bin die starke, leidenschaftliche Empfindung. Bin die Wut in meinen Adern, die Welt in meinem Kopf!_
Kairo sieht sich unter dem Sternenhimmel in einem Palast.
Ein Schrei ringt sich aus seiner Kehle.
Eine furchtbare Erinnerung.
Gedanken fließen rot aus seiner Wunde am Hinterkopf.
Der Andere ganz nah an seinem Gesicht.
Heißer Atem auf seiner Stirn, seinen Augen.
„Sag es mir, Kairo! Sag es mir!“ Die Stimme des Mannes bebt, sein Körper zittert.
Seine Augen weit geöffnet vor Empfindung. „Wer zwingt uns diesen Weg zu gehen! Du weißt es doch bereits!“
Das Meer braust auf.
Heißer, staubiger Wind.
Die warme Flüssigkeit aus seinem Schädel.
„Wolltest Du dir die Gedanken aus dem Kopf schlagen?“
Kairo nickt.
Tränen quellen aus seinen Augen.
Er starrt stur auf das Meer.
„Die Menschen sind es. Der Mob.“
Sein Gegenüber nickt.
Lola bleibt unbewegt und fassungslos.
Kairo umarmt seinen Gegenüber.
Seinen liebsten Feind.
(c)
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