Samstag, 6. April 2013
Unten am Wasserfall
„Ich bin viel zu spät aufgestanden, der Tag ist schon halb vorbei.“
„Jaja. Klar. So was passiert Jedem.“
Das wurde jetzt viel zu persönlich.
Mit einem Krachen legte ich den Hörer auf.
Ich hielt mich für etwas Besonderes.
Jeder tut das.
„Oder?“
„Oder was?“
Unten am Wasserfall hatte mich R an den Waden festgehalten.
Damit ich nicht ins Wasser fiel.
Ich.
„Vielleicht hält sich nicht jeder für was Besonderes.“
Er hatte mich gerade losgelassen und sich missmutig auf einen Stein gesetzt.
Ich dachte wieder an meine Großmutter.
Damals hatte ich sie im Krankenhaus besucht.
Ihre Heiligenbildchen waren um ihr Bett aufgebaut.
Sie hatten mich angestarrt.
Die Heiligen.
Und ich hatte zurückgestarrt.
Mit dreckigen Schuhen und strähnigen Haaren hatte ich ihnen gegenübergestanden.
Im Moment des Todes.
Im Moment des Todes meiner Großmutter konnte ich nur an sie denken.
An die Heiligenbildchen.
Sorgsam aufgebahrt.
So sorgsam umhegt wie nichts anderes in ihrem Leben.
Hinterließen sie nichts.
Und mich.
Und Leben.
Unten am Wasserfall.
„Lässt du mich teilhaben an deinen Gedanken?“
Wasser rauschte vor sich hin.
Ein kühler Wind.
„Hast du doch. Du bist hier.“
Hier und Jetzt.
Eine Barrikade aus Raum und Zeit, die ich in diesem Universum erschaffen hatte.
Dieses Universum.
Mein Universum.
Alles drehte sich nur um mich.
Doch es hatte wenigstens ein Zentrum.
Doch-
„Manchmal weiß ich nicht, was ich denke.“
Es passierte einfach.
Wie ein-
Es gab keinen Vergleich.
Da war mein Handy und es klingelte.
Eine Abfolge von Tönen, die stets mein Leben stören.
„Was hast du heute gemacht?“
- „Gelebt.“
„Du Lügner!“
Bis zu den Knöcheln im Schnee.
Unten am Wasserfall.
R hatte mich gar nicht festgehalten.
Das war ich selbst gewesen.
Etwas Besonderes bleibt allein.
So hatten mich die Heiligenbildchen verflucht.
Gelebt hatte ich.
Bis hierhin.
Bis zu den Knöcheln im Schnee.
Klirrende Kälte auf nackter Haut.
Ich hatte die Heiligenbildchen um mich herum aufgebahrt.
Im Moment des Todes.
Im Moment meines eigenen Todes konnte ich nur an sie denken.
An sie, die ich so verabscheute, wie meine eigene Heiligkeit.
(c)

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 26. März 2013
Herr Lehmann denkt zu viel.
„Worum dreht sich wohl unser Leben?“
Lehmann an die Scheibe gelehnt.
Häuser, Straßen, Gärten fliegen an ihm vorüber.
Peinlichst genau.
Nur die Dächer sind dreckig.
_Alles Gute kommt von Oben_, denkt Lehmann.
Sein Begleiter grunzt und schluckt das Brötchen hinunter.
„Wie meinst’n das?“
Lehmann weist als Antwort schweigend auf die Dächer, auf die Gärten,
die Autos, die _Schau_fenster,
Auf die Menschen.
Rattern des Zuges.
Geräuschkulisse der Mitreisenden.
Künstliche Gerüche
Und die kalte Scheibe an Lehmanns Wange.
„Das Übliche halt. Was ist das für eine Frage?“
„Offenbar eine Gute, wenn du sie nicht beantworten kannst.“
Ein verärgertes Murren.
„Du denkst einfach zu viel!“
Zu viel denken.
_Darum dreht sich also mein Leben._
Ein Klärwerk zieht an Lehmann vorüber.
Kann man denn zu viel denken?
„Du machst dir einfach alles zu kompliziert.“
Fügt der Andere hinzu.
Ein Würstchen in seinem Mund.
„Ich mache es nicht kompliziert. Und es ist auch nicht kompliziert…“
Er betrachtet Schweinebacke von der Seite.
„… es ist einfach nur krank.“
„Häh?“
Dämlicher Ausdruck auf einem dämlichen Gesicht.
Kontrastiert vor den himmelblauen Sitzbezügen.
Mit kleinen Karos.
„Krank. Und schmutzig.“ Wiederholt Lehmann.
In Gedanken ganz woanders.
Himmelblaue Sitzbezüge mit Karomuster an Klärwerken.
„Warum- wieso krank?“
„Ich habe einen Virus, mein Freund, du solltest aufpassen, dass du ihn nicht auch bekommst.“
Denken ist krank.
Denken.
_Der Virus, der mein Hirn befällt._
Lehmann lacht.
Seine Beine, seine Arme, seine Hände, sein Gesicht.
Alles lacht.
Die Welt dreht sich um die Sonne.
Und viel mehr noch.
Lehmann weiß es.
Er braucht nicht fragen.
Der Sitz neben ihm wird empört geräumt.
Mehr Karomuster.
(c)

... link (1 Kommentar)   ... comment


Montag, 11. März 2013
Restlos' Traum
Trockene Luft
riechen.
Geschmack schmecken.
Der Geschmack von kaltem Kaffee.
Eigenartige Fähigkeiten.
Restlos hört, wie sich Türen schließen.
Geschlossen für die Welt.
Er setzt die Tasse ab.
Die Tasse mit ihrer merkwürdigen Fassade.
Restlos hat geträumt er sei ein Fisch.
Ein Fisch in einem Stundenglas.
Der Sand die Zeit.
So schwamm er in der Zeit und japste wie ein Fisch ohne Wasser.
Restlos.
Alleine mit seinem Traum.
Alleine mit seinen Sinneseindrücken.
Dabei mag Restlos gar keinen Kaffee.
Und auch die Türen nicht.
Und nichts liebt ihn.
Dann geht er.

Menschen schieben sich an Restlos vorbei.
Drängeln.
Viel zu nah an Restlos.
Zeit als Instrument.
Seelenloses Treiben.
Restlos ist ein Sklave dieser Zeit.
Ein bärtiger Mann rüttelt ihn wach.
„Wo wollen Sie hin? Zum Gleis geht es dort entlang. Hier ist Privatbereich.“
Ach ja.
Was man Privat so nennt.
Im Stundenglas.
Restlos wird in die Bahn gedrückt.
Dabei mag er die Bahn gar nicht.
Eine Frau mit knallrotem Lippenstift.
Restlos neigt den Kopf.
Kaugummi auf den Plastiksitzen.
Standfest auf Klebemasse.
Was einen so aufrecht hält.
Im Untergrund des Lebens.
Ein Traum.

Restlos ausgestreckt
So liegt er auf dem Innenhof .
Haut und Herz auf Stein.
Leben auf einem Quadratmeter Beton.
Was man Leben nennt.
Restlos ausgestreckt,
So wirkt es, als umarme er den Boden.
Umarme er das tote Stundenglas.
Die Erdkugel, ein Klumpen Beton in seinen Armen.

Ein Fisch namens Restlos hatte einen Traum.
(c)

... link (0 Kommentare)   ... comment