Donnerstag, 31. Januar 2013
Hamlets Tod, 1. Akt
„… Etwas, das mich wieder antreibt.“
Danton stand mit dem Rücken zur Wand.
Der farbenfroh besprayten Wand in der grauen Innenstadt.
Er hatte den Kopf weggedreht, als Hamlet ihn am Shirt gepackt hatte.
Langsam ließ er von ihm ab.
„Du bist so ein Trottel.“ Knurrte Hamlet halbherzig.
Doch eigentlich brach sein Herz.
Danton zog die Schultern hoch.
Dann wandte er sich zum Gehen ab.
„Hey!“
Hamlet wollte ihn am Arm packen.
Doch er verlor den Halt.
„Wo willst Du hin?“ Wollte er wissen.
„Was weiß ich, was das Schicksal mit mir vor hat“ Murmelte Danton.
Dann war er bereits in der nächsten Gasse verschwunden.
Hamlet fluchte.
Wenn Danton einfach so davon kam, würde er mächtig Ärger mit dem Boss bekommen.
Scheiße.
Resigniert ließ er die Zigarette auf den nassen Asphalt fallen und rannte Danton hinterher.
„Hey! man!“
Danton machte keine Anstalten sich zu ihm umzudrehen, er lief einfach im gleichbleibenden Tempo weiter.
„Du weißt schon, dass das so nicht läuft?“
Er war jetzt mit ihm auf einer Höhe.
„Was willst du schon tun?“ Danton hatte den Blick auf die Straße gerichtet.
„Willst du mich provozieren, man? Du kannst nicht einfach in unser Revier kommen und-“
„Es geht doch gar nicht um mich.“
Hamlet musste schlucken.
_Was wollte er schon tun?_
Ja, was. Was eigentlich.
Einige Augenblicke gingen sie stumm nebeneinander her.
„Hör mal, ich will keine Zeit mit so einem Mist verlieren.“ Versuchte Hamlet es erneut.
„Aber die Zeit verliert dich.“
Ruhig setzte Danton den Weg durch die Straßen fort.
Halb, als wüsste er, wo es lang ging.
Halb als würde er sich einfach nur treiben lassen.
Von einer unbekannten Strömung.
Hamlet schwieg.
Seine Gedanken kreisten um die Tatsache, dass er sich immer weiter aus seinem Zuständigkeitsbereich entfernte.
Und andererseits schien ihm das plötzlich so trivial zu werden.
Er betrachtete die grauen Häuser, die vorüberzogen.
Die Menschen.
Ihre Gesichter verborgen unter Kapuzen.
Eilig von Tür zu Tür.
Hamlet versank in seinen Gedanken.
Nachdem sie einige Zeit so stumm nebeneinander hergegangen waren, registrierte er, dass er die Umgebung gar nicht mehr kannte.
Nur noch vereinzelt standen Häuser am Straßenrand.
„Wo sind wir?“ fragte er.
Danton schüttelte mit dem Kopf.
Wusste er es nicht?
Oder war es ihm einfach egal?
Hamlet musste an den Tag denken, als erfuhr, dass sein Vater gestorben war.
Unwillkürlich spürte er eine Hilflosigkeit.
Regentropfen fielen aus dem grauen Himmel.
Jetzt waren sie schon weit außerhalb der Stadt.
Feld an Feld , so reihte sich die Landschaft auf ihrem Weg.
Der Regen nahm zu.
Sturm peitschte die Ehren.
Selbst die schwarze, schwere Lederjacke, die Hamlet trug, schützte ihn nicht mehr.
Aber das war ihm gleich.
Scheinwerfer hinter ihnen.
Der Lärm eines herannahenden Autos.
Neben ihm wurde das Wagenfenster runtergekurbelt.
„Mensch, Hamlet. Was machst Du hier draußen? Der Boss sucht dich schon.“
Der Blick des Insassen fiel auf Danton und er gab ein vernehmbares Zischen von sich.
„Was treibst du dich mit diesem räudigen Hund herum?“
Hamlet hatte es plötzlich die Sprache verschlagen.
Er ging einfach weiter.
„Hey!“ Eine kratzig aufgeregte Stimme aus dem Wageninneren.
Er fuhr ein paar Meter und riss vor Hamlet die Beifahrertür auf.
„Steig ein, oder du bekommst Ärger, Junge.“
Danton betrachtete interessiert Hamlets Seitenprofil.
Unwillkürlich ein lautes Motorenheulen.
Hamlet drehte den Kopf.
Dann ging alles viel zu schnell.
Es tat einen Ruck, während er beobachtete, wie ein viel zu schneller Neuwagen frontal mit dem Wagen kollidierte.
Der Insasse warf Hamlet noch einen erschrockenen, unendlichen Blick zu.
Getöse.
Kreischendes Metall.
Sekunden vergingen.
Hamlets Atem ging stockweise, als er sich zwischen den Ehren des Feldes widerfand.
Er konnte die Augen nicht abwenden.
Danton hatte sich neben ihm aufgerichtet.
„Auch wenn es keinen Unterschied macht, werde ich nun gehen.“
Hamlet nickte abgehackt und richtete sich langsam auf.
Die Beifahrertür war wenige Zentimeter vor Hamlets Füßen zum stehen gekommen.
Er schluckte.
„Schicksal, hast du gesagt?“ Fragte er Danton.
Dieser schüttelte den Kopf.
Er schüttelte den Kopf und deutete auf zerrissene Überreste einer Lederjacke in den Trümmern.
Einer schwarzen, schweren Lederjacke.
„Das ist Schicksal.“
(c)

... comment