Sonntag, 10. Februar 2013
Hamlets Tod - Epilog
Letztendlich standen wir da.
Irgendwie ist das Leben ja nun doch wie ein Puzzle, was sich langsam zusammensetzt.
Und am Ende fehlt doch ein Stein.
Oder man stellt fest, dass es sich gar nicht um ein Puzzle handelte.
So ist es.
Das Leben.
Da standen wir uns gegenüber.
Auf dem verwitterten Bahngleisen.
Irgendwo zwischen Paris und Moskau.
Irgendwo, wo gerade die Sonne aufging.
Hinter den blassen Hügeln in der Ferne.
Ich fragte mich kurz wie viel ich in meinem Leben bereits gesehen hatte.
Ob das das letzte Bild sein würde.
Und, ob es schön war.
Hamlet nahm die Waffe.
„Du warst nie ein guter Schauspieler, mein Freund.“
Ich nickte stumm.
Betrachtete den Horizont, so weit, wie er sichtbar war.
Und auch ich nahm die schwere Waffe zur Hand.
„Macht es denn einen Unterschied? Ob ich lüge, die Wahrheit sage, schauspielere, lache, weine, schreie? Kommt es nicht auf das selbe heraus? Sind wir nicht alle wie Sandkörner an der Küste des Ozeans und wissen nicht um uns selbst, geschweige denn von den anderen?“
Kaltes Metall in meiner Hand. „Ich bin so müde.“
Hamlet betrachtet mich einen Augenblick.
Wehleidig.
„Was du sagst ergibt keinen Sinn. Los jetzt.“
Wir wandten uns voneinander ab.
Keine Sekundanten.
So ist das Leben.
Ungerecht und ohne Sekundanten.
Einstimmig begannen wir zu zählen. Uns schrittweise zu entfernen.
„Eins…“
Kein Laut über den morgendlichen Hügeln.
Nur unsere zerreißenden Stimmen.
„… Zwei…“
Wie eine unbeugsame Melodie.
Schön artig im Takt, wie man es uns gelehrt hatte.
„… Drei…“
Die Waffe in meiner Hand wog schwer.
Schwer. Wie die Last des Lebens.
„… Vier…“
Ich musste an die Kugeln denken.
„… Fünf…“
Bewusst atmete ich die Luft ein.
Spürte, wie sie meine Lungen füllte.
„… Sechs…“
Den Puls, der durch meine Adern jagte.
Die ersten Strahlen der Morgensonne.
„… Sieben…“
Ich musste an die Zahlen denken.
Zahlwörter. Was für eine Absurdität jetzt.
„… Acht…“
Das ist das Leben.
„… Neun…“
Leben und sterben.
„… Zehn!“



Ich spürte
Nichts.

Die Sonne.
Sie stieg über die Hügel, brachte Licht in das Dunkel.
Erhob sich über die Szenerie.
Es machte keinen Unterschied.
Es machte keinen Unterschied, das wird sie jedem Morgen tun.
Es machte keinen Unterschied,
Aber.
Sie war so hell.
So scheinend, so einmalig.

Letztendlich standen wir da.
Die Hände am Schlaghahn.
Ein entsetzlicher Schrei.
Aus meiner Kehle
Seiner Kehle.
(c)

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