Montag, 21. April 2014
Krieg, ich atme. (Hamlets Tod)
Die Geräusche des Krieges verhallen hier.
Wenige Meter von mir die Böschung. Und hinunter in den Äther fliegt der Abgrund.
Keiner kann mir sagen, wo ich hier bin, wer ich bin.
Aber im Zweifelsfall … ich höre mich atmen.
Hinter diesen Geräuschen in meiner Brust steckt ein starker Geist und ich vermochte ihn nie ausfindig zu machen.
Aber jetzt höre ich ihn.
Abseits vom Krieg.
Ich muss gar nichts, bevor nicht dieses Momentum die Situation durchbricht.
Meine Heiligkeit der Einsamkeit durchbricht.
Der fließende Übergang zwischen Leben und Tod
Und den Dingen, die ich nicht auszusprechen wage.
Hier verlaufen sie.
Ich bin Hamlet.
Und ich atme.
Das ist nichts Besonderes.
Geröll lockert sich und rollt hernieder in die Tiefen dieses Abgrunds.
Einmal habe ich mit den Füßen baumelnd darüber gesessen.
Wer weiß schon, was Freiheit ist?
An jenem Tag stand ich Dante gegenüber.
Die alte Geschichte.
Von Gut und Böse. Jung und Alt.
Niemals können wir verstehen, wer unser gegenüber ist.
Er hatte seine Waffe gezogen.
Zumindest glaube ich mich daran zu erinnern.
Ich war so müde.
Aber ich habe geatmet. Am Abgrund des Lebens habe ich geatmet.
Und das Herz in meiner Brust hat geschlagen.
Kein Urteil zu fällen ist das schwerste im Menschenleben.
Und wer eine Waffe bei sich trägt – und das tun wir alle – lässt sich nicht mehr beredsam davon überzeugen.
Das war es, was ich in Dantes Augen sah.
Überzeugung.
„Zu welchen abscheulichen Dingen uns unsere Überzeugungen treiben. Sind sie doch nur Produkt unseres kranken Geistes.“ Hatte ich mich sprechen hören.
Gar nicht klein. Nur so müde.
Ich erinnere mich, wie die Morgensonne sich auf den dahinziehenden Gleisen spiegelte.
Der Frost auf dem Schotter. Eine eisige Schicht irgendwo zwischen Luft und Eis.
Wie eine Krankheit.
So haben wir uns behandelt.
Dante hatte gelächelt. Er hatte einfach nur gelächelt.
Waren wir uns nie so nah.
Empfindungen schwimmen über meinen Abgrund, wie die Wolken über die Berge fließen.
Wer weiß schon, was morgen ist.
Brutale Ehrlichkeit eines Weltvergessenen: Ich atme.
In meiner Brust lebe ich.
Doch dann wusste ich es.
Ganz unwillkürlich.
Gleicher hätten wir uns nie sein können.
Tödliche Blicke, mit jedem Schritt, dem ich näher kam und die Arme ausbreitete.
„Siehst du nicht, was wir sind? –
Die lethargischen Fremden unserer Zeit.“
Mit Waffen und Überzeugungen schnell zur Hand.
Und müde vom Krieg alle gegen alle.
Dem Leviathan gebeugt, doch innerlich atmen wir.
Ein falscher Herzschlag in unserer Brust, der nicht zu den Trommlern des Regimes passen will.
Nun wo ich hier sitze, kommt es mir so leicht vor.
Wir schlossen uns in die Arme.
Wie Brüder.
Zwei atmende Wesen.
„Doch: Niemand versteht.“
Noch immer spüre ich seinen Pulsschlag.
Sein Leben an meinen Händen und seine Gedanken in meinem Blut.
Ich sitze am Abgrund- verhalten.
Mit der geschlossenen Hand vor dem Mund, atmend das Salz des Meeres.
Die Geräusche des Krieges verhallen hier.
Vor meinen Augen der Abgrund, Brust, Geist.
Und Blut an meinen Fingern.
Wir werden uns noch oft gegenüberstehen, das weiß ich nun.
In dieser Morgendämmerung, immer gleich auf dem Gleisnetz unserer Zivilisation.
Und du wirst mich fragen –
Wirst mich fragen, welche Werte uns denn nur verbunden haben.
Und wir werden schweigen. Denn wir sind beide müde vom Krieg.
Müde vom Atmen
Immer wieder an einem neuen, eisigen Morgen.
Doch diesmal fand mein Dolch dein Herz.
(c)

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