Mittwoch, 9. November 2016
Die Einsamkeit der Atome
Mit der Wange dem Boden zugeneigt. Festgetretene Erde und Schmutz.
Nicht einmal das Blätterrauschen hört man.

Dort wo meine Beine meinen Kopf überragen, die Haare den Staub streicheln.
Die Ketten zeichnen meine Hände und ich spüre wie mir das Blut in den Ohren pocht.

Poch poch, poch poch.
Dein Pochen ist ein Pochen ist eine Rose.

Wir haben die Dunkelheit vertrieben.
Haben wir nicht abertausende Laternen aneinandergereiht, bis selbst die Sterne uns verließen?
Wir haben es wirklich versucht.

Poch, poch. Und das Scheinen unter der Erde siehst du nicht.

Ich streckte die Arme aus, ein wenig mehr. Ein wenig weniger als es nötig gewesen wäre, um den sandigen Boden zu zeichnen.

Wir haben die Stille vertrieben. Wir wünschten zu singen.
Doch schreien wir nicht? Tag um Nacht um Leid und Furcht vor den eigenen Schreien? Dem Schatten im Licht der Laternen, Scheinwerfer, Neonlampen.
Die Freiheit haben wir gegen Geborgenheit getauscht. In und um jede hohe Mauer gebaut. Nicht einmal uns können wir noch ertragen, hinter uns Jahre der Gefangenschaft. Jahre zerfließen zu Leben und zu Sterben.
Poch, poch. Denn Sterben ist Sterben ist Neonlicht.
Pochend unter dem Scheinen der leergesehenen Sterne, derer wir all unsere Hoffnungen entwendet haben.

Ist Geborgenheit ist Angst ist Hass ist Dunkelheit ist Nacht.
Holt her die Laternen, lasst uns die Schatten vertreiben die doch mit jedem Licht mehr werden.

Haben wir nicht die Einsamkeit vertrieben?
Zwischen Stund‘ und Traum suchen wir einander. Unter den Laternen, zwischen den Mauern im Lärm der tiefsten, verzweifelten, dunkelsten Nacht?

Wir verschwinden. Sekunde um Stunde um Leben verschwinden wir ein Meer. Wir versinken und vergessen. Wir sind die Scheinwerfer und Mauern. Das Schreien und die Einsamkeit jeder Atome unseres Raumes.

Wir sind wir sind wir sind.

Hast du mich nicht gesucht? Zwischen den Mauern und unter den ausgetretenen Pfaden. Ich fürchte du hast tief gegraben. Ganz mit bloßen Händen- ich habe wohl dein Pochen gehört, doch war mein Mund voller Staub voller Atome voller Einsamkeit.

(c)

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Donnerstag, 28. Juli 2016
Schwermetall
Schweben wir noch?
Schweißperlen auf deiner Stirn, Hochgefühl auf deinen Lippen.
Ich höre nur schwere Schläge, schleppend auf meinen Ohren.
Wir haben uns damit abgefunden nicht Eins zu sein.
Eine ewige Welt fährt an uns vorbei.
Wir sind stehen geblieben.
Verwurzelt möchte man es nennen, doch das ist eine Lüge.
Alle Uhren und unsere Atemzüge-
Schwere Schläge.
Sie verändert sich, die Welt, zumindest erzählen wir uns das.
Wenn wir an der nächsten Haltestelle aussteigen.
Doch davon werden wir nicht sprechen.
Am Besten. Verwurzelt.
Lass uns nicht darüber reden. Ich habe nie etwas gehört.
Die Weite bis zum Horizont hat alle Worte aufgezehrt.
Sie bauen ihre Straßen daraus. Sie fahren fortan.
Fahren fort.
Mit Beinen aus Schwermetall können wir niemals fort fahren.
Stehen geblieben. Können unsere Seelen nicht sprechen.
Diese Wahrheit haben wir uns aufgehoben.
Wann ist die Nacht gekommen? Oder habe ich die Augen geschlossen?
Lieder aus Schwermetall.
Unter der Straßenlaterne liegen fremde Hoffnungen.
Doch schon sind sie vorbeigeflogen. An den fahrenden Fassaden.
Gebrochen in an den Glasfassaden.
Lass uns nicht darüber reden.

Ich sehe dich noch in den vorbeifliegenden Licht.
Keine Wahrheit unter unserem Stahl
Ich nehme dich mit, wenn ich dich dahinter finde.
Wenn wir noch genug Wahrheit aufgespart haben.
Schwer versprochen.
(c)

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Sonntag, 7. Februar 2016
Dauerfrost
Ich sah dein Gesicht nicht, als wir den Weg zu den Feldern nahmen.
Kannte ich den Weg? War ich ihn schon einmal gegangen?
Oder kam er mir nur so vertraut vor. So vertraut wie deine Stimme, mich begleitend.
„Es ist Frühjahr geworden“
Und wie du es sagtest, fielen mir die vielen bunten Farben zu meinen Füßen auf. Das satte Grün der Bäume am Horizont, die Wärme der Sonne.
Hatte ich nicht noch kurz zuvor gefroren, die kahlen Bäume betrachtet-
Ein kalter Winterstag?
Doch der Weg war gesäumt von einem Farbenspiel der Blüten, welches ich noch nie zuvor gesehen hatte.
Vergessen hatte ich ihre Farben schon fast.
Du musstest meinen Blick gesehen haben. „Es sind die Bauern, sie glauben an die Blumen der ersten Jahreszeit“.
„Wohin führt uns der Weg?“
Doch kannte ich die Antwort auf die Frage schon. Die Weidenbäume am Horizont riefen sie mir zu, flüsterten mit tonlosen Worten mir fremde Erinnerungen zu.
„Hinunter zum See“
Ich war außer Atem, als wir das Feld überquert hatten.
Wie lange musste ich nur geschlafen haben?
Hier war der Boden ganz trocken. Im Schatten der Bäume sah ich, wie tiefe Furchen ihn durchzogen-
Ich kannte diesen Ort aus meinen Träumen.
Ganz nah spürte ich den See, doch ich konnte ihn durch das dichte Weidengeäst nicht sehen. Vielleicht waren wir doch weiter entfernt voneinander, als ich es geglaubt hatte.
Meine Hand hattest Du genommen, abseits des Weges.
Schilf war aus den ausgedorrten Boden gesprossen, hier und dort, als würde das Gewässer ihm bald folgen.
Vor einem großen, ausgedorrten Baum bliebst Du stehen. War es das was du mir hattest zeigen wollen?
„Hier habe ich ihn versteckt“
Lange betrachtete ich den Baum, doch ich wusste nicht, was Du meintest.
„Wen?“
„Den Winter. Die Kälte. Das Sterben.“
Und wie Du es sagtest sah ich all die toten Dinge in dem Baum.
Nichts Lebendiges war ihm geblieben.
Ich atmete ihn ein und entließ meine Aufmerksamkeit.
Unser Hände lösten sich voneinander, das Geflecht der Wurzeln zu meinen Füßen verwoben.
Und ganz winzig und unscheinbar die Wintervorräte, die ich einst wie ein sorgsames Mosaik dazwischen versteckt hatte. Die makellosen Nussschalen.
Schon ganz vergessen, sank auf die Knie, das Geflecht zu berühren.
So viele Zeiten war ich einst damit beschäftigt gewesen sie aufzusparen.
Dein Gesicht konnte ich nicht sehen, als deine Wurzeln und Äste mich zu dir zogen.
Am Fuße lag ein Schädel, die leeren Augen blickten mich an, als ich mich schweigend entzog, über den Boden kroch und dort wo deine Wurzeln endeten mich sanft niederließ um in deine kahlen Wipfel zu starren.
Wie sich vor dem blauen Himmel deine Äste den jungen Weidenrauten entgegenstreckten, sich kreuzten und in alle Himmelsrichtungen stoben. Ein zu Eis erstarrtes Gemälde.
„Vielleicht schlafe ich noch“, sprach ich nach einer Weile zwischen den Gezeiten liegend, „aber so muss ich dich nun verlassen“.
Vielleicht hattest du mich in deiner Starre schon nicht mehr gehört.
Als ich mich von den letzten Wurzeln enthob, schenkte ich dir einen letzten Dank.
Und so ließ ich dich gemeinsam mit meinem gesammelten Winter zurück.
Durch das Geäst der Weiden und dem schneidenden Schilf, hinunter zum See. Es war ein Leben her, versteckt hatte ich mich hier, den Bestien zum trotz.
Der Schlick zog an meinen Beinen, bis ich schließlich kaum noch laufen konnte. Als sei ihnen das gleiche Schicksal widerfahren, umwogen mich die dünnen Weiden, tief versunken.
Doch vielleicht hörte ich ihr Lachen.
Wütend schlug ich sie von mir, „ich bin giftig!“, schrie ich, meine nassen Haare klebten in meinem Gesicht, vor Bitterkeit. „ICH BIN GIFTIG!“
Und nicht wie eine der Blumen des Feldes.
Ergeben ließ mich der Boden frei und entließ mich entwurzelt zwischen die Schilfpflanzen in die Freiheit des Wassers.
Doch konnte ich sie nicht ertragen.
Ich wollte nicht zurückblicken, nicht den Weg zurücknehmen, nicht sinken, als ich meine Flügel spreizte und mich aus den Tiefen erhob.
Was konnte schon Freiheit sein? Deine vertrockneten Äste?
So schrie ich mit meinen Lungen voller Wasser und den Resten eines Wunsches. Vielleicht würde ich nie mehr atmen können.
Doch ich flog dahin, allem zum Trotz. Die Flügel streiften die sanften Wellen und Ruhe mischte sich in meine Einsamkeit.
Als ich so dahinglitt, abseits aller Wege, sah ich dein Gesicht nicht mehr.
Ich hörte auch keine Worte, das Wasser hatte sie weggespült, die Jahreszeiten sich verwaschen. Trostlos spiegelten ihre Farben den weiten See.
Und ich spürte: ich hatte nie geschlafen, war nie wach gewesen, nichts gesehen, nichts gehört, nicht geschrien und nicht geatmet.
Ich entfernte mich, verloren in deiner Erinnerung- mit all deinen Wintern in tiefer Starre schwindend.
Gezeiten in kahlen Ästen und tiefe Furchen in altem Holz.
„Hier hast Du mich versteckt“, sang die Welt als sie schwand.
„Hier hast Du mich versteckt“.
Dauerfrost unter erfrorenen Wurzeln.
(c)

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